Album Review: Schöngeist – WEHE!

Es gibt so Alben bei denen hat man das Gefühl, das die Band nur kurz das Bier und die Groupies aus der Hand gelegt und die Instrumente zur Hand genommen hat um sich für fünf Minuten fürs Auskatern, schlechte Witze machen und erst an dritter Stelle um ein Album in die Runde zu werfen ins Studio begeben hat wobei sie  intuitiv und direkt bei der Sache war. Und dann gibt es Alben, bei denen man vom ersten Song an das Gefühl hat dass sie bis ins letzte geplant und durchdacht sind und dass mehrere leute daran herum geschraubt haben. Zu letzteren gehört das neue Album „Wehe“ von Schöngeist.

Eigentlich sollten diese Jungs keine Unbekannten sein – warum sie es dennoch sind ist mir schleierhaft: 2006 Gegründet, zwei Alben produziert und Vorband unter anderem für Eisbrecher und Letzte Instanz gewesen – es gibt wirklich so viel schlechtere Ausgangspositionen und nicht nur damit haben es Timur Karakus (Vocals),  Henriette Becker (Violine), Daniel Beutner (Gitarre), Michael Hirschberger (Gitarre), Andreas Socher (Bass) und Manuel Di Camillo gut erwischt, aber nun zur Musik.

Der Silberling hat Zehn Songs und eine Gesamtspielzeit von etwa 40 Minuten (Ich könnte jetzt Diskussionen über das Verhältnis von Technik und Albumlänge beginnen aber das lasse ich) und bringt es auf 10 Songs. Und um die Kritik vorweg zu nehmen: Stellenweise fragt man sich wirklich ob man hier Eisbrecher vor sich hat oder jemand anderen – wie groß war der Einfluss von Alexander Wesselsky der am diesem Album textlich und musikalisch mitgewirkt hat? Die Musik ist exzellent produziert und dicht geschrieben, aber irgendwie hat man das Gefühl, dass die Verantwortlichen zwischen wirklich tollen Songs ein paar schmerzhaft gesichtslose Füllnummern verbrochen haben. Und übrigens: man kann Musik auch totproduzieren und nicht jeder Song sollte in das Übliche „Intro-Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Break“ passen auch wenn das Eingängig ist! So, trotz der Bösen Worte bin ich gespannt darauf wie sich das live anhört, ganz ohne Ironie!

Der Opener und Titeltrack „Wehe“  Fängt mit Violine und Synthies an, ehe Eisbrecher-mäßige Gitarrenteppiche  aus der Anlage prügeln. Im Mahlenden Midtempo voranschreitend mit einem Ohrwurmrefrain und sogar der Gesang klingt nach Eisbrecher. Ist das Alex in den Backingvokals oder hat sich Herr Karakus von ihm so verbiegen lassen? (Ja, darauf erwarte ich eine Antwort!)

Song 2 ist etwas schneller, auch mit einem Synthie-Intro der „Irgendwie habe ich das schon mehr als einmal gehört“-Sorte aber bei diesem Song klingt Sänger Timur Karakus wenigstens nicht nach jemand anderem, was insbesondere in dem Stück nach dem zweiten Refrain in dem alles bis auf die Synths  kurz verschwinden gut durchkommt.

Wieder aus der Elektro-Industrial-Ecke erscheint der Dritte Song „Wieder“, der etwas langsamer und mit  leicht verzerrtem Gesang anklingt, bei dem mir jedoch ein bisschen Identität fehlt.

Nummer 4, die Singleauskopplung „Zusammen Allein“ klingt so dermaßen nach Altbackenem Gothic-Rock englischer Machart das man es eigentlich nicht toppen kann: Typischer Gitarrensound mit gesprochenem Intro darüber, Drei-Griff Songstruktur, Schnell und fetzig und positiv – ein Ding zum Feiern.

 

Das Fünfte Stück lässt mich im Intro ein bisschen auflauschen, und irgendwie bleibt von diesem Ding nichts kleben – spricht nicht unbedingt gegen Songwriting oder produktion nur irgendwie fehlt mir bei diesem Stück das Gewisse etwas – vielleicht weil man hier Melancholie ein bisschen zu groß schreibt.

„Es zählen die Sekunden“ ist dann der Gegenpol dazu – schnell, punkig und Positiv treibend mit einem Refrain bei dem man das Gefühl hat sich vielleicht bald beim Mitsingen zu ertappen.  Einer der Anspieltipps auf diesem Album, keine Frage!

Der Siebte Song im Bunde, „Kenne mich“ klingt wieder etwas nach Eisbrecher allerdings auf einer Balance bei der man sagen kann dass es hier nicht an Identität mangelt. Die Stimmung ist ausnehmend verzweifelt, was diesem Stück eine gewisse Spannung verleiht die fast zu greifen ist. Irgendwie flüstert mir eine kleine Stimme „Inscape“ ins Ohr bei diesem Song. Ein melodisch-bluesiges Gitarrensolo ist der Zuckerguss auf der Torte. Anspieltipp!

Und Track Acht, welcher auf den Titel „Traumtanz“ hört, ist tatsächlich in der Lage mich zu überraschen, nicht nur durch das Drumming und die niemals zu präsente aber niemals verschwindende Violine machen dieses Ding einen überduchschnittlichen Song aber auch keinen Vollzünder.

„Lebe“, Nummer 9 brodelt bereits leicht beim leicht orientalisch klingenden elektronischen Intro, welches sich in einen Treibenden Song entläd, der nur zwischen den Entladungen von Wucht, Metal-gitarren und geknurrten Vocals nahe am gutturalen Spektrum trügerisch sanft und lullend-Hypnotisch Klingt, ein echtes Hammerteil!

Den Abschluss macht das niemal ruhige Duett „Where the wild roses grow“ das – wenn man es auswringen würde Sex triefen würde – vollständig in englischer Sprache gehalten und mit einer wirklich tollen Sängerin. Ein Würdiger Abschluss!

Woah, 40 Minuten die es in Sich haben. Meine Anspieltipps sind: Wehe, Zusammen Allein, Kenne mich, Lebe und Where the Wild roses grow. Die Tatsache dass man die Hälfte dieses Albums(!!!) als Anspieltipps angeben kann sprechen dafür. An und für sich bin ich nach dem hochtragenden Pressetext und dem Bewusstsein was meistens von solchen Dingen übrig bleiben in eine ziemlich zynische Haltung gedriftet die immernoch nicht ganz gewichen, aber ganz gut widerlegt worden ist.

Also zählen wir zusammen: Fünf Granaten auf dem Album, ein paar Füllnummern mit abgedroschenem Sound, etwas sehr sterile (Über)Produktion, Gute Texte, insgesamt stimmt das Feeling, ich bin gespannt wie die Langzeitwirklung ist.

8 von 10 Punkten nach dem heutigen Wissensstand – vielleicht ändert sich das ganze wenn ich ein paar antworten auf die brennenden Fragen bekommen habe.

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