Coppelius in Köln am 20.03.09 (Konzertbericht)

Coppelius in Köln
Coppelius in Köln

Das gleich vorne weg: Coppelius ist so ziemlich das merkwürdigste an Band, was in den letzten Jahren die Bühnen der schwarzen Szene erobert hat. Doch halt – das stimmt eigentlich gar nicht! Denn nach eigenen Angaben trafen sich die sechs Herren bereits im Jahre 1791 zum ersten Mal, gaben ihr erstes Konzert 1803 und gingen von 1815 bis 1822 auf ihre erste europäische Konzertreise. (Die Fahrzeuge waren damals ja bekanntlich etwas langsamer als heute.) Wie es heißt, sei es einzig diversen widrigen Umständen zu verdanken, dass wir erst jetzt wieder von ihnen hören.

Na, da sind wir doch froh, dass die widrigen Umstände vorbei sind und nach der Tonträgererstveröffentlichung von Time – Zeit im Jahre 2007 nun bereits Anfang 2009 die zweite silberne Scheibe unter dem Titel Tumult(Review zu Tumult) mit dazugehöriger Tonträgerveröffentlichungskonzertreise folgte!

Man durfte also gespannt sein, welch edlen Ort sich die sechs befrackten Herren für Ihren Auftritt in Köln auserkoren hatten. Ich gestehe: Ich war zuvor noch nie in der Werkstatt. Insofern war ich schon etwas überrascht, zwischen einem Aldi und einem Getränkemarkt nur auf Grund der davor wartenden schwarzen Schlange, in der einige Herren mit Gehrock und Zylinder ins Auge fielen, einen versteckten Eingang zu entdecken. Es stellte sich mir die bange Frage: Die werden doch wohl nicht im Getränkemarkt auftreten? Nein, taten sie natürlich nicht, denn hinter der Tür verbarg sich ein zwar kleines, aber doch feines Etablissement, welches sich rasch füllte.


Beim Anblick der nicht gerade großen Bühne mit dem Coppelius-Logo im Hintergrund kamen mir erneut Zweifel. Da sollten sechs Musiker drauf passen? Doch auch diese Sorge erwies sich als grundlos.

Pünktlich um 20 Uhr erschien Butler Bastille und sorgte erst einmal emsig, wie es sich geziemt, für staubfreie Instrumente und Mikrophone. Im Hintergrund erklang dazu Musik, die sich wie vom Grammophon gespielt anhörte. Allerdings erfolgte die Wiedergabe tatsächlich, wie man bei genauerem Hinschauen entdecken konnte, über ein recht altertümlich anmutendes Rundfunkgerät.


Bastille mit kurzen Haaren
Bastille mit kurzen Haaren

Eingefleischte Fans wussten es natürlich schon längst. Für andere mag es eine Überraschung gewesen sein: Bastille sah anders aus. Er hatte kurze Haare, die im Scheinwerferlicht leicht rötlich wirkten. Was aber war geschehen mit seiner einstens blonden Lockenpracht? Nun, bei einer Konzertreise im vergangenen Jahr hatte es ein feiger Frevler gewagt, den Zylinder des Cellisten, Graf Lindorf, zu entwenden. Aus Gram darüber, so heißt es, habe sich Bastille die Haare ausgerauft und geschworen, sie nicht mehr wachsen zu lassen, bis das edle Stück zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgefunden habe. Und tatsächlich wirkte der arme Butler ohne seine Locken so verhärmt, dass ich unverzüglich beschloss, am nächsten Tag im Dom eine Kerze beim heiligen Antonius für die wohlbehaltene Rückkehr jenes kostbaren Reliktes aufzustellen.

Nachdem Bastille keine Stäubchen mehr finden konnte, machte er sich an dem Rundfunkgerät zu schaffen, doch kein Sender schien ihm zu gefallen, bis … ja, bis endlich das Coppelius-Intro erklang! Auf dieses Signal hin betraten in neuer blau-beiger Gewandung die Herren Coppelii gemessenen Schrittes die Bühne, gesellten sich zu ihren Instrumenten – und dann legten sie los mit Der Advokat, einem Stück der neuen Scheibe.

Für alle, die die Band noch nicht kennen, sei erwähnt, dass sie selbst ihren Stil als Kammer-Core bezeichnet. Ihre Instrumente, Cello, Klarinette, Kontrabass und Schlagzeug lassen eher an Klassik denken, doch die Töne, die die Musiker ihnen zu entlocken verstehen, belehren einen schnell eines besseren. Das ist feinste Rockmusik mit leichten Anklängen an Bands wie Apocalyptica und Queen.


Stimmungsvoll ...
Stimmungsvoll ...

Der Abend entwickelte sich, dem Albumtitel entsprechend, im wahrsten Sinne tumultuös. Auf das mit großem Applaus bedachte erste Stück folgte ein fetziger alter Bekannter, Schöne Augen, eine Hommage an E.T.A. Hoffmanns Sandmann, die zwar schon oft gespielt, aber erst jetzt veröffentlicht wurde. Auffällig war, dass die Herren Coppelii diesmal darauf verzichteten, sich dazu blutverschmierte Binden über die Augen zu legen. Natürlich gab es auch hier wieder, wie eigentlich bei jedem Stück, einen Riesenapplaus. Nach Lilienthal kündigte Bastille an, dass er dem Publikum nun einen recht einfachen Text beibringen wolle. Prompt dröhnte ihm vielstimmig der Refrain von Time – Zeit entgegen:

„Zeit verfliegt, Zeit verrinnt
Vergiss niemals, Du wirst alt mein Kind!“

Nachsichtig lächelnd schüttelte er das Haupt. Nein, noch einfacher, nämlich:

Ouhuouhuoh!
und
Yeahayeahayeah!

Damit war klar, dass nun Zu Dir kam, ein tragisch-brutales Liebeslied.


klassisch ...
klassisch ...

Bei Murders in the Rue Morgue, welches Iron Maiden ja bekanntlich von Coppelius geklaut haben, lud Bastille das Publikum höflich ein: „Sie dürfen sich auch bewegen. Aber nur wenn Sie möchten.“ Getanzt wurde dann aber doch eher wenig. Headbanging war schon wesentlich beliebter und mitgeklatscht wurde auch bei To My Creator, was das Zeug hielt.

Nach Habgier erläuterte der Butler, dass die Herren ja eigentlich gesagt hätten, da sie schon morgen in Berlin spielen müssten, wollten sie heute beim Konzert, um sich zu schonen, nur 50 % geben. Doch er habe ihnen erklärt, dass das nicht anginge, sondern sie ganz im Gegenteil 110% geben müssten. Damit hatte er sich natürlich noch einmal einen ganz besonders heftigen Applaus verdient. Dieses Gerücht wurde übrigens von den anderen nicht weiter kommentiert, sondern man ging rasch zu dem wunderschön düster-romantischen Die Glocke über, an das sich fast nahtlos Coppelia mit einem wahrhaft eindrucksvollen Solo von Drummer Nobusama anschloss. Die anderen überließen ihm während dieser Zeit ehrfurchtsvoll die Bühne und zogen sich zurück. Nur Bastille musste sich natürlich einmischen, holte auch eine Trommel und machte einfach mit.

Weiter ging es mit Stücken wie der Neuauflage von Operation, Komposition genannt, Charlotte the Harlotte, das mit großer Begeisterung aufgenommen wurde, oder Morgenstimmung, zu dem es auch ein sehr schönes Video auf der Coppelius-Homepage gibt.


fantastisch ...
fantastisch ...

Vor Das Amulett rief Bastille das Publikum zur Ordnung: „Ich bitte um Ruhe im Saal. Tumulte bitte später!“ Es werde erst weitergehen, wenn er sein Taschentuch fallen hören könne. Und nach dem Lied dürfe nicht applaudiert werden!  Der Dressurakt gelang, der ganze Saal wurde mucksmäuschenstill und lauschte andächtig der Ballade darüber, dass es nicht immer gut ist, die Wahrheit erkennen zu können. Als Belohnung folgte Spring doch.

Doch dann sollte plötzlich Schluss sein, obwohl ein Lied, das schon die ganze Zeit immer wieder lauthals gefordert wurde, noch gar nicht gespielt worden war. Anscheinend hatte Time – Zeit es den Kölnern ganz besonders angetan. Jedenfalls wurde es bei jeder Gelegenheit zumindest kurzfristig angestimmt, was Bastille regelmäßig die Schweißperlen auf die Stirn trieb und ihn zu Kommentaren wie diesen veranlasste: „Sie bringen mich ja vollkommen aus dem Konzept! Dieses Stück steht heute Abend nicht auf dem Programm.“ Und immer wieder: „Das steht nicht auf dem Programm!“

So leicht ließ sich das Publikum aber nicht abschmettern. Zu lauten Da-Capo-Rufen (so heißt „Zugabe“ auf Coppelianisch) wurde auch angestimmt: „Zeit verfliegt, Zeit verrinnt …
Die Herren begaben sich also wieder auf die Bühne und spielten … Nein, etwas anderes. Nämlich die Kriegsballade 1916. Auch sehr schön. Aber die Leute im Saal blieben stur. Also noch mal das Ganze. Laute Da-Capo-Rufe und dazu: „Zeit verfliegt, Zeit verrinnt …


9/10
9/10

Steter Tropfen höhlt den Stein. Schließlich kehrte Bastille tatsächlich mit den erlösenden Worten zurück: „So viel Hartnäckigkeit gehört belohnt!“ Lauter Jubel, es wurde kräftig mitgesungen und am Ende gab es natürlich einen extra-dicken Applaus. Und wer es bisher nicht wusste, bekam von Bastille noch die Botschaft mit auf den Weg: „Coppelius hilft!“

Habet Dank, werte Herren, für einen fantastischen Abend in Eurer geschätzten Gesellschaft. Meine Wenigkeit wird euch gerne weiterempfehlen!


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Coppelius!
Coppelius!

Das Konzert besuchten für Schwarze News midnight-ivy (Text) und Herr von Chamisso (Fotos).

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