Dark Solitary: At Sea Compilations – Interview Teil I

Der heutige Gesprächspartner ist bereits seit vielen Jahren als Redakteur und Organisator in der Szene unterwegs. Mit viel Enthusiasmus ist Axel Meßinger stets auf der Suche nach interessanten Bands jenseits des Mainstreams, die er auch durch selbstorganisierte Compilations fördert. Nihil lud den Musiknerd nun zu einem umfassenden Interview über seine Tätigkeiten und die Philosophie dahinter ein.

 

FotoHi, Axel. Wie geht es dir so?
Hallo Nihil, mir geht es sehr gut. Derzeit habe ich viel zu tun mit der Veröffentlichung von der nächsten Compilation Efflorescence, die es ab dem 5. April zum Download geben wird. Und gleichzeitig läuft bereits die Recherche für den German Gothic Isn’t Dead-Sampler, der dann im Juni erscheinen wird. Letzterer wird mit ca. 2 Stunden Spielzeit als Doppelcompilation wieder ein größeres Projekt. Da braucht es schon etwas Vorlauf, damit die Arbeit nicht zu stressig für solch ein Hobbyprojekt wird.

Zwischen 2011 und 2013 warst du Redakteur beim Dark Feather-Zine. Das Underground-Magazin, das zunächst als selbstfinanzierte Printausgabe in Kleinauflage mit CD-Sampler herauskam, wurde später dann komplett auf digital umgestellt. Was war die Initialzündung für das Magazin?
Über die genauen Beweggründe musst Du den Holger Warschkow fragen, der das Magazin 2006 gegründet und über viele Jahre allein mit seiner Frau gestaltet hat. Erst einige Jahre später hat sich dann eine kleine Redaktion gegründet. Ich kann Dir insofern nur erzählen, was meine Beweggründe waren mitzumachen: Unzufriedenheit über die allgemeinen Szene-Medien, bei denen ich vorher als freier Mitarbeitet tätig war. Mittelmäßige bis schlechte Releases von werbetreibenden Labels haben gegenüber selbst entdeckter Bands Vorrang und wehe man schreibt mal eine gut fundierte, aber schlechte Review: Dann droht das Label gleich mit Werbeentzug, Einstellung von Bemusterung und den ganzen Mist. Darauf hatte ich dann irgendwann keinen Bock mehr, weil das mit ehrlichem Musikjournalismus nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun hat.

Zine21Beim Dark Feather war das anders: Da hat jeder seine Bands rausgesucht die er mochte und mit denen Interviews geführt. Am Anfang war das ein sehr Metal-orientiertes Magazin. Ich brachte da auch neue Farben wie Singer/Songwriter, Folk, Mittelalter und solche Genres in das Magazin. Das Ganze wurde dann nicht etwa mit Ablehnung oder Skepsis begegnet, sondern ausdrücklich erwünscht. Denn nur wenn man sich selbst für etwas wirklich interessiert, kann man auch gute Stories aus den Interviews fernab des PR-BlaBlas herauskitzeln, vorausgesetzt der Gesprächspartner macht mit.

Ich konnte mich im Dark Feather kreativ völlig frei entfalten, etwas was ich vorher bei anderen Webzines im Internet nie kennengelernt habe. Ein Interview mit Ougenweide? „Die kennt doch niemand mehr“. Ein Interview mit dieser tollen Singer/Songwritern? „Das passt nicht in unser Genre“ – und so ging es in einer Tour. Es war frustrierend, aber gleichzeitig auch erhellend für wie bescheuert viele Chefredakteure die Leser eigentlich halten. Oder irgendwelche Leute, die nur CDs von Bands abstauben wollen, dann halbherzig die Pressetexte in den „Reviews“ kopieren, um danach das Album irgendwo im Netz hochzuladen und die CD auf Ebay zu verhökern. Zum kotzen ist das, so offen und ehrlich muss ich das an dieser Stelle mal sagen! Das ist auch einer der Gründe, warum wir in der deutschen Subkultur, anders als in anderen Ländern, keine Strukturen für kleinere Bands haben.

11146001_793065187413927_496979094_nWie habt ihr Dark Feather damals organisiert und finanziert? Mit traditionalen Anzeigen hattet ihr ja durch eure Philosophie nicht so viel am Hut.
Gesucht nach Werbepartnern haben wir schon, es war nur damals sehr schwierig welche zu finden, die in unsere Philosophie passten. Die Finanzierung war da immer ein sehr schwieriges Thema, nicht ohne Grund blieb es bei drei Printausgaben um danach als PDF-Zine weiterzumachen.

Mir wird nachgesagt, ich sei meistens viel zu neugierig. Wieso war es nach 24 Ausgaben dann aus mit dem Magazin? Soweit ich es mitbekommen habe, waren die Musiker und Leser doch immer sehr angetan von eurem Underground-Support.
Das ist in der Tat neugierig. Es hatte sehr viele verschiedene Gründe, über die ich, auch aus Respekt vor Holger, Stefan, Masi, Kiki und Nino, nicht öffentlich reden möchte. Dennoch möchte ich die Antwort nicht so unbefriedigend lassen: Es ist unglaublich zeit- und kräfteraubend journalistisch hochwertige Arbeit als Hobbyprojekt zu betreiben. Man recherchiert sehr viel, das Überlegen von interessanten und relevanten Fragen ist eine kreative Hochleistung und allgemein braucht es auch viel Idealismus. Für den Herausgeber kommt ja auch noch die ganze Organisation hinzu. Und die Frage lautet am Ende des Tages: Wieviel Idealismus ist gesund und ab wann wird es zur Selbstausbeutung? Die Grenze ist ein sehr schmaler Grat und da die richtige Balance zu finden und zu halten nicht ganz einfach. Sobald solch ein Hobbyprojekt in negativen Stress ausartet und beispielsweise andere Hobbies zu kurz kommen, ist es definitiv zu viel.
Einer der zentralen Gründe war sicherlich der eigene Anspruch an uns selbst und das es sehr viel Zeit gekostet hat diesen gerecht zu werden. Und dann gab es noch eine ganze Reihe anderer Gründe.

Im Anschluss an Dark Feather bist du 2013 zum Webzine namens Sakona transferiert. Ich habe das ganze gespannt verfolgt und hatte grosse Vorfreude, aber irgendwie war es mit deiner Beteiligung recht schnell vorbei, oder täusche ich mich?
Sakona war nach der Dark Feather mein kleiner Versuch meine persönliche Rebellion gegen die Szene-Medien und dessen Mechanismen aufrecht zu erhalten. *lacht* Aber ernsthaft: Es hat mir schon sehr viel Spaß gemacht Interviews zu führen und wollte das in lockerer Blogform beibehalten. Doch dann kam das oben beschriebene Dilemma wieder zum Vorschein. Gleichzeitig habe ich aber bemerkt was für eine große Reichweite die ersten beiden Snowflakes-Sampler bekommen haben. Die Erste entstand ja 2012 noch unter der Dark Feather. Also habe ich die Idee gehabt unter der „Dachmarke“ At Sea Compilations mehrere solche Sampler-Geschichten zu realisieren. Genretechnisch auch mal nach links und rechts abzubiegen.

Da es mir immer darum ging eine sinnvolle Plattform für Bands zu bieten und die Menschen mittlerweile wohl lieber Musik hören statt über Musik zu lesen, fiel mir dann die Entscheidung sehr leicht mich voll und ganz auf At Sea Compilations zu konzentrieren. Und im Vergleich zum klassischen Musikjournalismus ist es auch weniger Zeitaufwand, währenddessen ich viel mehr Bands vorstellen kann. Also eine Win-Win-Situation. Was jetzt aber nicht heißt, dass At Sea Compilations „im Vorbeigehen“ realisiert wird. So leicht ist es dann leider auch wieder nicht. *lacht*

„A balance between things that you know people will like and things that you think people will like.“ Weißt du von wem dieses Zitat stammt? Trifft das als Motto eventuell auch auf dein Engagement in der Szene zu?
Wenn ich ehrlich bin, nein weiß ich nicht. Von wem denn? Das Zitat ist aber ein sehr gutes und bringt auch das Dilemma auf den Punkt, woran Medien heutzutage allgemein leiden. Medienmacher sehen nicht mehr den Menschen, sondern eine abstrakte Zielgruppe. Daraus leiden sie dann ab, was dieser Zielgruppe gefallen könnte. Viele Medienmacher trauen den Menschen nicht zu auch mal über den Tellerrand zu blicken und das ist leider eine sehr arrogante Sichtweise von Seiten vieler Medien.

Mein Engagement ist da definitiv anders. Denn ich mache mittlerweile „nur“ das was mir gefällt, wo ich auch zu 100% als Mensch dahinter stehen kann. Und ich denke, das ist auch ein wenig der Grund, warum das Projekt so gut bei den Hörern ankommt. Ich schere mich nicht danach was anderen gefallen könnte, sondern ich wähle die Songs und die Bands aus, die mir ganz persönlich gefallen. Daraus entsteht dann auch mein Spaß an dieser Sache und dieser kann dann durchaus ansteckend werden. Dadurch entsteht die Authentizität von At Sea Compilations – und natürlich auch allen anderen Underground-Projekten dieser Welt, die durch Herzblut und Idealismus getragen werden. Wenn man merkt, da macht jemand etwas aus ehrlicher Leidenschaft, dann nimmt man das auf der anderen Seite auch ernster. Menschen merken das ganz schnell, wenn etwas künstlich ist.

(Das obere Zitat stammt übrigens von John Peel – Anm. der Redaktion)

Woher kommt eigentlich dein schier ungebrochener Enthusiasmus, so akribisch, selbstlos und Zeitaufwändig in der Musikszene nach neuen Bands aus aller Welt zu suchen, um ihnen ein Forum und etwas Publicity zu bieten? Steckt da einfach die „Liebe zur Musik“ in dir oder treibt dich da ein fanatischer Missionierungseifer?
Es ist tatsächlich Liebe zur Musik. Ich bin Musiknerd durch und durch! Nun könnte man sagen, dass ich das alles auch einfach für mich hören könnte und gut ist. Aber wie vorhin schon erzählt, bin ich andererseits auch mit den Medien, gerade in unserer Szene, sehr unzufrieden. Das bekomme ich auch immer wieder von Bands zu hören, dass es sehr schwer ist wahrgenommen zu werden. Und auch die Hörer sind da extrem dankbar dafür, dass es das Projekt gibt.

Bei der Twist The Past 2, die Anfang des Jahres erschien, gab es zum Schluss einen Song von I-M-R, der Nachfolgeband von In My Rosary. Danach bekam ich einen richtigen kleinen Stapel Mails von Hörern, die den sehr charakteristischen Gesang Ralf Jeseks wiedererkannt und sich gefreut haben, dass er noch Musik macht. Dabei hat er nie aufgehört zu veröffentlichen. Nur irgendwann ist seine Musik aus den Szene-Medien verschwunden, weil er nicht einsieht sich bei Zeitschriften und Webzines einzukaufen.
Dabei war In My Rosary immerhin einer der bekanntesten deutschen Darkwave Projekte in den 90ern, ich bin unter anderen mit deren Musik Ende 1996 zu dieser Art Musik gekommen! Die Menschen haben diese Musik  nicht vergessen und in der Tat machen noch viele Leute aus jener Zeit Musik, nur eben von den Medien größtenteils ignoriert, wenn sie nicht bei großen, geldstarken Labels unter Vertrag sind!

Ich möchte also auch den Menschen zeigen, dass es unter der medialen Oberfläche noch extrem viel Spannendes zu entdecken gibt und die Szene lebt! Ob man das aber als „fanatischen Missionierungseifer“ bezeichnen kann, wage ich dann doch zu bezweifeln. Ich zwänge ja niemanden etwas auf. Ich sage ja nicht: „Ihr MÜSST das jetzt hören“, im Gegenteil: Es kann jeder hören und konsumieren was er möchte und woran er Spaß hat. Es ist „nur“ ein Angebot für alle, die sich von den klassischen Szene-Medien nicht mehr angesprochen fühlen. Und da eine Subkultur in erster Linie vom Selbermachen und nicht von Kommerz lebt, mache ich das eben selbst.

Nach Dark Feather und Sakona führte deine Reise dann schließlich zu At Sea Compilations. Klingt für mich erst einmal ziemlich verträumt und romantisiert. Bist du hier bewusst auf die „Mumien“ unter der alten Grufties als Zielgruppe aus, oder wie?
Wie gesagt, das At Sea Compilations-Projekt hat sich aus den beiden Snowflakes-Samplern entwickelt und die entstanden parallel. Der Name ist natürlich auch verträumt, denn eine Interpretation liegt darin, wie ich die endgültigen Tracklisten zusammenstelle: Ich habe bei uns in Chemnitz einen Lieblingsort. Das ist ein kleiner See in einem Wald. An diesem ziehe ich mich zurück und puzzle dann herum, welche Songübergänge am besten zueinander passen und solche Dinge. Allgemein ist Wasser und Natur eine große Inspiration, daher auch die vielen Naturdarstellungen. Und ich bin ein romantischer und emotionaler Mensch. Das fließt ganz automatisch mit ein.

Eine genaue Zielgruppe habe ich, wie bereits erklärt, nicht. In der Tat werden die Veröffentlichungen eher von Älteren rezipiert. Das liegt aber in der Natur der Sache: Ich bin mit der Szene-Musik der 80er und 90er „sozialisiert“ worden und mein Geschmack hat sich da im Grunde bis heute kaum verändert, er ist natürlich viel breiter geworden. Aber mit dem was heute in der „Szene“ angesagt ist kann ich mich weder identifizieren, noch mag ich das sonderlich. Daher ist es normal, dass die Veröffentlichungen ein bestimmtes Altersklientel anspricht und das ist absolut okay!

Das klingt jetzt alles ziemlich nach Musik von Musikern, welche die Vergangenheit nicht ruhen lassen können. Doch dem ist nicht so. Man kann schon aufgrund der heutigen Technik und des heutigen Zeitgeistes nicht mehr solche Musik wie vor 20 oder 30 Jahren produzieren. In jedem gutem Wave Stück und in jedem guten Gothic-Rock-Song hast Du natürlich auch, bewusst oder unbewusst, moderne Elemente. Sei es textlich, sei es in der Produktion. Und wenn man sich die Zusammenstellungen anhört, dann hört man diese Brücke aus Tradition und Moderne. Es ist wichtig, dass die Musik sich weiterentwickelt und neue Ideen ausprobiert.

Gleichzeitig sollte man in so einer Zusammenstellung nie die Wurzeln aus den Augen verlieren. Ein sehr gutes Beispiel für diese Brücke bietet die neue Efflorescence-Compilation, die vorrangig das Dream Pop-Genre im Fokus hat. Da hast Du mit Savage Sister und Lights That Change zwei Bands, die in bester 4AD-Tradition musizieren, gleichzeitig aber auch moderne Elektronika-Stücke wie von Fine Animal oder moderne Pop-Rock-Acts wie The Spiracles. Diese Mischung finde ich sehr faszinierend, weil sie gut zusammenpasst. Natürlich richtet sich At Sea Compilations daher nicht ausschließlich an ältere Musikhörer, sondern an jeden der Spaß hat neue Musik zu entdecken.

Was steckt noch hinter dem Projektnamen?
Eine Interpretation des Namens habe ich eben schon erzählt. Eine andere Interpretation stammt aus der Tatsache, dass das Internet übervölkert mit Bands und Musikern ist. Wie in einem großen Meer, kann man tausende von Musikern und Bands weltweit entdecken. Bandcamp, Soundcloud, Facebook, Jamendo, vKontakte, Kroogi, Far From Moscow und was es da nicht noch alles an Portalen gibt. Viele Menschen haben da einfach nicht die Lust auf eigene Faust zu recherchieren, viele wissen auch gar nicht, wo man da anfangen soll. Das Projekt soll daher zumindest eine grobe Richtung durch dieses Meer bieten.

Weiter geht es demnächst im zweiten Teil des Interviews.

Checkt solange mal die Seiten der besagten Sampler-Reihe aus:
http://at-sea-compilations.de/
http://www.facebook.com/SnowflakesSampler

 

About Nihil

Hobbies: Musik, Filme, Gitarre, Whiskey, Pen&Paper Rollenspiele, Fussball Lieblingsmusik: Godflesh, Ministry, Massive Attack, Mayhem, NIN, Sisters Of Mercy Motto: "I won´t get down in history but I will get down on your sister" Bin ein hyperaktiver, ungeduldiger Kerl - ich habe manchmal eine grosse Klappe und schere mich wenig um "Political Correctness" in der Unterhaltungsindustrie. Eigentlich hasse ich Kunst und alles, das mir zu "gekünstelt"erscheint. Für mich muss Musik polarisieren, laut sein und mehr Substanz haben als Hochglanzfotos auf den Titelseiten der Magazine. Ich liebe die einfachen Dinge des Lebens. Momentan bin ich Gitarrist bei Ibyss und PaPerCuts und war zuvor auch einige Zeit als Live-Musiker bei Blutzukker und Killing Smile tätig. Mit meinen Beiträgen will ich gezielt über viel zu unbekannte Musik und zu Unrecht vergessene Alben schreiben. Den Underground zu supporten ist genau mein Ding.

Check Also

Ankündigung: Castle Rock 2023

Was wäre ein Jahr ohne das Castle Rock Festival? Das hat sich der Burgherr des Schloss Broichs in Mülheim an der Ruhr auch gedacht und so öffnet auch dieses Jahr am 30.06 und 01.07, der Burghof seine Tore, um mit euch zu feiern! Und noch könnt ihr dabei sein, denn es sind noch wenige Restkarten zu haben um dieses Festival zu erleben.