Hier geht es weiter mit dem zweiten Teil des Interviews mit InterZone Perceptible, die schwarz-weiß Stummfilme mit eigenen Kompositionen live vertonen:
Wie probt ihr eigentlich? Live macht ihr ja schon ordentlich Lärm, habt ihr einen eigenen Proberaum?
Sven: Unser Proberaum ist ca. 60qm gross, hat eine grosse Deckenhöhe. Wir haben eine recht grosse Kinoleinwand mit Kasch und können in diesem Raum recht gut akustische Prognosen machen, wie unser Sound später im Theater-, Kino- oder Konzertsaal klingen wird.
Matthias: Er liegt am Rande eines Industriegebietes, da fällt Lärm nicht negativ auf. Im Gegenteil, der Umgebungslärm wirkt manchmal sogar inspirierend. Wir sind dort ziemlich abgeschottet und können im Prinzip machen was wir wollen.
Und wie schaut es in dem Raum so aus? Kreatives Chaos, Kabelsalat und haufenweise leere Flaschen in der Ecke? Oder doch eher alles sauber, sortiert, beschriftet?
Matthias: Letzteres ist eher der Fall. Bei all dem Equipment müssen wir den Überblick behalten und können uns langes Suchen eigentlich nicht erlauben. Kreative Phasen lassen natürlich die Ordnung etwas zu kurz kommen, aber das muss auch so sein. Sven ist sehr wichtig, dass das Klo sauber ist. Ein lustiges Unternehmen, da die Nachbarn das anders sehen.
Ich hatte bereits mehrfach das Vergnügen euch mit der Musik zu Der Golem, Das Cabinet des Dr. Caligari und Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens erleben zu können. Letzteren sogar an einem Heiligabend. Ich war und bin von eurer Musik und dem gesamten Konzept total „geflasht“. Wie fallen die Reaktionen von Besucher und Fans aus, die euch bislang begegnen?
Matthias: Sehr unterschiedlich. Zu Beginn kamen auch manchmal Leute zu den Aufführungen, die hatten wohl eher „die klassische“ Stummfilmuntermalung erwartet… Die sind dann entweder rausgegangen und oder haben sich anschließend Luft gemacht.
Sven: Neben Superlativ-Highlights wie „Mehr kann man bei einem Kino-Besuch nicht erleben!“ oder „Ihr habt mich auf einen anderen Planeten geschossen!“ war das Negativ-Highlight wohl „Ich komm‘ nie wieder!“. Das liegt schon etliche Jahre zurück, bleibt aber unvergessen, vor allem weil der Typ, während er die Worte sagte, einen Fahradhelm aufhatte, was natürlich seinem Musikkritiker-Auftreten den notwendigen theatralischen Glanz verlieh.
Matthias: Mittlerweile, nach 15 Jahren InterZone, weiß das Publikum, was es erwartet (im Ansatz) und etliche positive Kritiken sind zu hören. Die Verschmelzung von Ton und Bild, ein Parameter an dem wir sehr intensiv arbeiten, wird dabei oft hervorgehoben, man „vergisst“, dass man einen Stummfilm mit Livemusik schaut, und taucht vollends die Handlung ab. Was will man mehr?
Ihr seid „nur“ zu zweit, aber wenn man einmal beim Konzert euer Equipment mit Bergen von Racks, Effektpedalen am Boden und dazu noch diverse Instrumente und Mikrofone erblickt, könnte man meinen, da ist eine professionelle Band mit Großaufgebot auf Tour. Checkt ihr immer alle eure Einstellungen oder sind die Effekte beim Auftritt improvisiert?
Matthias: Äh…. wir sind eine professionelle Band mit Großaufgebot!! Unsere Setups sind für jeden einzelnen Film definiert, aufgeschrieben und jederzeit abrufbar. Es gibt natürlich einzelne Stellen, die auf improvisatorischen Elementen basieren, aber im Allgemeinen ist alles definiert.
Da ich selber Musiker bin, frage ich mich natürlich, wie ihr bei dem scheinbaren Chaos an Tönen, Abfolgen und Effekten den Überblick behaltet beim proben oder performen. Ist das Übungssache oder liegt euch das einfach?
Matthias: Das ist Übungssache. Unsere Partituren sind extremst livetauglich, soll heissen: wirklich alle Potis, Knöpfe, Spielangaben, Noten etc. sind notiert. Das hat sich über die Jahre aus der Notwendigkeit entwickelt und wird auch weiter verfeinert.
Als InterZone Perceptible seid ihr ein Duo. Wie unterschiedlich seid ihr eigentlich als Menschen? Fühlt ihr zwei euch eigentlich als „Musik-Nerds“ oder seid ihr eher „musikalische Autisten“?
Matthias: Weder noch. Unsere Arbeit beruht darauf, dass wir uns gegenseitig reflektieren und auch hart kritisieren, da bleibt man eigentlich ziemlich auf dem Boden der Tatsachen, was nicht heissen soll, dass auch mal sehr “eigenartige” Situationen im Proberaum entstehen, sonst wäre unsere Musik nicht so wie sie ist. Ferner sind wir – familiär gesehen – in einen normalen Alltag eingebunden, der uns genügend Abstand zur Musik bietet. Das ist eine gute Mischung!
Sven: Wir sind alle Individuen (ich nicht). InterZone ist eine Maschine mit u.a. zwei Gehirnen als Bestandteil. Unterschiedliche Vorstellungen und Ideen werden zu etwas Gemeinsamen geformt. Es entsteht etwas, worauf wir alleine nie gekommen wären.
Matthias: Ich war mal individuell. Dieses InterZone-Doppel-Hirn hat einiges verändert. Die Chemie stimmt einfach – was will man mehr?
Gab es bei euch schon einmal Pläne für etwas ausserhalb von Live-Musik, bsp. Arbeiten an Soundtracks für „normale“ Filme oder Videospiele?
Sven: Was nicht ist, kann noch werden. Wir hatten bisher noch keine Angebote in diese Richtung, wären aber alles andere als abgeneigt, beispielsweise für ein Videospiel den Soundtrack zu schreiben.
Eure Band ist auf Leinwand-fähige Locations wie Hörsäle oder klassische Kinos angewiesen und funktioniert scheinbar nur Live. Seid ihr cool damit, dass der übliche Ablauf mit Aufnahmen und Datenträger-Release/Vertrieb bei euch nicht existiert?
Matthias: Total! Unsere Musik ist ein Liveact. Wir haben mal probiert diese Materie so aufzuarbeiten, dass sie per CD zum Film läuft. Die Ergebnisse sind eher unbefriedigend. Deshalb: InterZone goes LIVE!
Sven: Wir hatten immer wieder darüber nachgedacht, unsere Filmmusik als eine Art Suite ohne Film herauszubringen, also Passagendauern aus rein musikalischen Beweggründen zu proportionieren. Die Schwierigkeit ist einfach, dass die Musik Teil des Films ist und ohne ihn zu etwas Anderem wird. Dieser Arbeitsprozess bedarf viel Zeit, die wir momentan für solch ein Projekt nur sehr schwer freischaufeln könnten. Auch hier wieder: „Was nicht ist, kann noch werden. Loslassen.“
Passend zu den Locations: wie steht ihr dem Kinosterben und Schliessungen solcher Locations wie aktuell dem Duisburger Filmforum gegenüber?
Matthias: Kulturelle Einrichtungen sind ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft und sollten nicht aus finanziellen Gründen aufgegeben werden. Je weniger Möglichkeiten es dieser Art gibt, desto mehr verliert eine Gesellschaft seinen Bezug zur Kunst. Das kann böse enden.
Von all den Kinos und Locations, in denen ihr beiden bislang aufgetreten seid, welches war die geilste und atmosphärischste Location und wieso?
Sven: Eine aussergewöhnliche Show war sicherlich der Open-Air Nosferatu im Weltkulturerbe Zeche Zollverein Essen. Uns stand dort eine gewaltige Leinwand mit einer mächtigen PA zur Verfügung.
Matthias: Wir hatten unser Setup zwischen den Öfen der Kokserei aufgebaut und waren quasi Teil einer Industriemaschine, unglaublich !
Wie fühlt es sich an, in einer Band zu spielen, die zwischen Zuschauern und Leinwand im sitzen performt? Hattet ihr nie die üblichen Träume von einem Leben AUF der Bühne mit Exzessen HINTER der Bühne?
Sven: Ich liebe es, so zu spielen. Unsere Musik ist bis in die tiefste Zelle hinein ekstatisch…
Matthias: Der InterZone-Exzess entsteht auf der Bühne, da ist Ins Fleisch geradezu ein Exempel. Ferner bin ich kein Freund von Klischees. Dinge entwickeln sich, die muss man erkennen und dem nachgehen.
Sven: Auf jeden Fall, bei dieser Nummer kommt man gar nicht auf die Idee, dass die Aufführungssituation anders sein könnte. Zumal ganz pragmatisch gesehen es für den Film kontraproduktiv wäre, wenn wir uns in Szene setzen würden. Die Bühnenshow tobt auf akustischer Ebene in unserer Musik. Immer wieder hören wir nach Shows aus dem Publikum, wie neugierig sie zum Beginn waren und gekuckt haben, was wir da so machen, doch nach wenigen Minuten waren sie vollends im Film versunken, und ich möchte nicht ohne Stolz verkünden: Dank unserer Musik.
Wie organisiert ihr eure Band und alles drumherum? Seid ihr auch eure eigene Promo- und Bookingagentur oder arbeitet ihr da auch mit externen zusammen?
Sven: Wir machen alles alleine. Wir sind Komponisten, Interpreten, Bühnentechniker, Roadies, Bookingagenten, Werbebüro… Mal sehen was die Zukunft mit sich bringt. Ach so, die Steuererklärung macht jemand anders für uns.
Matthias: Wir hatten mal ein Konzert in Duisburg – im Museum. Nachmittags beim Aufbau fragte einer der Aufseher, ob wir denn auch abends beim Konzert dabei wären … wir haben die Frage erstmal nicht kapiert. Ist schon lustig, wenn man alles selber macht. Ich mag das.
Sven: Vielleicht waren die aufgeklebten Roadie-Schnäuzer und AC/DC-Bandshirts übertrieben.
Wie können euch interessierte Kinobetreiber eigentlich buchen und kontaktieren?
Sven: Auf http://www.i-p-music.com unter “Kontakt”: Anruf oder Mail.
Wo finden unsere Leser mehr Infos zu euch und besonders die nächsten Auftrittstermine?
Matthias: Auf unserer Webpage gibt es einen Link “nächste Show” sowie einen Jahreskalender. Dort findet man alles. Ferner gibt es im Magazin Coolibri einen eigenen InterZone Perceptible-Veranstaltungskalender und wir versenden einen Newsletter. Wer diesen erhalten möchte, kann sich gerne bei uns melden.
Last but not least: Seid ihr irgendwann mal auch wieder in Krefeld? Im Ex-Casablanca Kino oder sogar an einer anderen Location hier?
Sven: Wir stehen in freundschaftlichem Kontakt mit dem Ex-Casablanca Kino. Für 2015 wird es da noch sicherlich Termine geben.
Okay, danke euch beiden und noch viel Erfolg für die lärmende Zukunft in schwarz-weiß!
Sven: Wir danken dir! Wir sehen uns bei Stummfilm in Concert!
Alle Termine und mehr Infos zu InterZone Perceptible findet ihr auf der Homepage hier:
http://www.interzone-perceptible.de