Denise Mina; Leonardo Manco: Stieg Larssons Verblendung Bd. 1 (Comicreview und -Kritik)

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Stieg Larssons Verblendung

Die Millennium-Trilogie des schwedischen Autors Stieg Larsson ist so etwas Ähnliches wie der Pop-Star unter den Krimis. Düster, sexy und ungemein erfolgreich: Mit ihren rund 63 Millionen verkauften Exemplaren, einer schwedischen Filmadaption sowie einem US-Remake des Erstlingswerkes darf durchaus von einem Verkaufsschlager gesprochen werden. Ein Achtungserfolg, den der Schöpfer selbst jedoch nicht mehr miterleben durfte.  Er starb am 9. November 2004 in Stockholm in Folge eines ungesunden Lifestyles – Seine drei Bücher, die ursprünglich als Reihe von zehn Bänden konzipiert waren, erschienen posthum in den Jahren 2005, 2006 und 2007. Stieg Larsson galt als engagierter und anerkannter Antifaschist, als Experte für den schwedischen Neonazismus und war seit 1995 Herausgeber des antirassistischen EXPO-Magazins.  Viele Elemente seiner eigentlichen politischen Arbeit, er bezeichnete sich selbst als Kommunist, flossen in sein Werk ein, etwa die Kritik an gesellschaftlichen Missständen in Schweden in Form von häuslicher Gewalt, latenter Frauenfeindlichkeit und dem nach wie vor präsenten Rechtsextremismus. Man sollte m.E. dennoch nicht den Fehler begehen, seine Romane als politisches Statement zu begreifen, sondern vielmehr als hochspannende Justiz-Thriller mit dezent kritischen Anleihen, die aber in erster Linie unterhalten sollen.

Nach den gelungenen Verfilmungen, einer Hörbuch-Fassung und einem Hörspiel ist nun seit rund drei Wochen auch der erste Band der Graphic-Novel Adaption(en) erhältlich, die über das Imprint Vertigo erscheinen und in Deutschland von Panini Comics vertrieben werden. Die Handlung der einzelnen Bücher wird dabei in jeweils zwei Comicbänden abgehandelt, die Inhalte der gesamten Trilogie also folglich in 6 Bänden vermittelt. Den Start macht jetzt also Verblendung Band 1 – Kann die Geschichte um das ungleiche Zweiergespann, die autistische Hackerin Lisbeth Salander und den Investigativ Reporter Mikael Blomkvist, auch in Comicform begeistern und kann das Medium Comic dem bekannten Stoff neue Facetten abringen? Fragen über Fragen, hier gibt es die Antworten.

Die Geschichte ist bekannt: Der charismatische Enthüllungsjournalist und Mitbegründer des kritischen Magazins Millennium, Mikael Blomkvist, steckt in einer (beruflichen) Krise. Nachdem er sich naiverweise mit dem dubiosen Finanzhai Wennerström angelegt, auf falsches Quellenmaterial hereingefallen ist und eine entsprechende Niederlage vor dem Kadi kassiert,  ist seine Glaubwürdigkeit als Journalist temporär auf dem Tiefpunkt angelangt. Ein „Glück“, dass der Alt-Industrielle Henrik Vanger ihn für eine hohe Summe damit beauftragt, ein wenig in der verqueren Geschichte der Familie Vanger herumzuwühlen, um auf dieser Basis eine Familienchronik zu verfassen. Das jedenfalls wäre der offizielle Teil – Tatsächlich soll Blomkvist im Falle von Henriks bereits 1966 vermeintlich ermordeter Neffin Harriet Vanger ermitteln. Vanger verspricht ihm nicht nur ein unverschämt hohes Honorar sondern auch die berufliche Rehabilitation, indem er ihm Beweise für das unlautere Geschäftsgebaren Wennerströms liefert. Doch je tiefer Blomkvist gräbt, umso klarer wird, dass es da jemanden auf dem Familiensitz der Insel Hedestad zu geben scheint, der nicht möchte, dass die Wahrheit ans Licht kommt und mit allen Mitteln versucht, seine Ermittlungen zu behindern. Und verdächtig scheint potentiell sowieso jeder innerhalb der Vanger-Sippe, deren Portraitierung einem Moloch aus Intrigen, Nazismus, Egozentrik und generationenübergreifender sexueller Gewalt gleichkommt.

Parallel dazu erzählt Verblendung aber auch die Geschichte der introvertierten, emotional gestörten, jedoch hochintelligenten Aspi Lisbeth Salander – Diese ist, obgleich sie ihrer meisterhaften IT-Kenntnisse wegen beim Sicherheitsspezialisten Milton Security angestellt ist, aufgrund ihrer „schwierigen“ (ein Euphemismus) Vergangenheit geschäftsunfähig und benötigt daher einen rechtlichen Vormund – Da ihr  bisheriger Betreuer, Volker Palmgren, zu dem sie ein gutes Verhältnis pflegt, jedoch (anders als im Buch/Film) pensioniert und nicht mehr in der Position ist, diese Rolle auszuführen, befindet sich Lisbeth nun in der Hand des schmierigen Rechtsanwalts Nils Bjurman – Einem Mann, der sie nicht nur mit allen Mitteln der Rechtsprechung schikaniert, sondern obendrein auch noch ein ziemlich übler, (sexueller) Sadist ist, der die Abhängigkeit Lisbeths ausnutzt, um sich auf grausame Weise an ihr zu vergehen. Doch die scheinbar so fragile Lisbeth nutzt die Gunst der Stunde, um sich auf ihre eigene Weise an ihm zu rächen.

 

Henrik Vanger ist verzweifelt - Jemand erlaubt sich einen makabren Spaß um den Tod seiner Nichte Harriet.
Henrik Vanger ist verzweifelt – Jemand erlaubt sich einen makabren Spaß um den Tod seiner Nichte Harriet.

Die Erzählstruktur des Comics ist im Wesentlichen am Roman angelehnt – Auch hier werden die Geschichten der beiden ungleichen Hauptprotagonisten erst einmal separat voneinander erzählt – Durch den Schnitt aber gibt es erhebliche dramaturgische Einbußen – Dabei ist es gar nicht mal so schlimm, ja sogar durchaus sinnvoll,  dass Lisbeth noch gar nicht auf den Journalisten treffen durfte. Schließlich ist es auch im Buch bzw. in den Filmen so inszeniert, dass das plötzliche Aufeinandertreffen Lisbeths und Mikails als gravierender Wendepunkt in die Story eingreift. Der Cut wirkt hier aber extrem unbeholfen und lässt das Ganze furchtbar unvollständig erscheinen – Selbst der Schlussdialog von Lisbeth und Milton-Chef Armanski wirkt gänzlich überhastet, als wäre sich die Autorin selbst nicht im Klaren, wo die Trennung hätte stattfinden müssen. Das ist recht schade, weil es den ansonsten durchaus guten Gesamteindruck schmälert. Auch andere Details trüben den Lesespaß zwar nicht merklich, aber so doch marginal:  Die Charakterzeichnung entspricht im Wesentlichen der Vorlage (was positiv ist), ausgerechnet der vermeintlich charismatische Investigativ-Journalist Mikail wirkt aber erstaunlich profillos und nicht halb so smart, wie in der Buch- oder Filmvorlage. Dort war er das idealistische aber dennoch nicht auf den Mund gefallene Glanzlicht der Millennium-Redaktion – Womanizer und Gerechtigkeitsfanatiker – Im Comic traut man ihm nichts davon zu. Wenigstens die Salander-Story ist angemessen düster inszeniert, zugleich nicht Over-the-top, aber schafft es die verschiedenen ambivalenten Wesenszüge der jungen Dame gut rüberzubringen. Ganz großes Lob gibt es aber für die Zeichenarbeit des argentinischen Comickünstlers Leonardo Manco, der sich bereits für die Hellblazer-Comic der John Constantine-Reihe verantwortlich zeigt – Der harte, recht schmutzige und dennoch realistische Stil seiner Bilder passt natürlich ganz hervorragend zu einer finsteren Erzählung wie Verblendung und obwohl sich das Charakterdesign und die Locations im Wesentlichen an den Filmvorlagen orientieren (was nahe liegt), bewahrt Manco sich seine ganze eigenen Trademarks – Besonders die Gestaltung von Lisbeth ist grandios gelungen und bewegt sich optisch irgendwo zwischen der Rooney Mara- und der Noomi Rapace-Version von Lisbeth – Auf ihre Weise hübsch, zerbrechlich, wahnsinnig und schlagkräftig – Ein modernes Tank Girl sozusagen. Der einzige, mit dessen optischer Interpretation ich nicht so ganz einverstanden bin, ist wieder mal Mikail: Passend zur oberflächlichen Charakterisierung fällt auch die optische Repräsentation entsprechend brav aus – Es fehlt das markante Element – Man nimmt dem blonden Schönling den knallharten Reporter einfach nicht ab. Der heimliche Star dürfte aber auch die grafische Ausgestaltung der Insel Hedestad sein, die gleichsam freundliches Provinznest und isolierte Hölle menschlicher Perversion ist.

 

Fazit: Der erste Teil der Comic-Adaption der Millennium-Trilogie kann sich durchaus sehen lassen – Dafür sprechen vor allem die optischen Schauwerte – Dass Manco ein Meister seines Faches ist, weißt man bereits seit Hellblazer: Seine Zeichnungen haben einen harten und recht schmutzigen Strich, sein Stil ist dunkel und mutet dezent Film Noir-lastig an. Die narrative Adaption der Larsson-Vorlage ins Comic-Medium, die von der durchaus renommierten schottischen und comic-versierten Kriminalschriftstellerin Denise Mina gestemmt wurde, weist aber ein paar eklatante Schwächen auf – Etwa die schwache Charakterisierung der Figur des Mikael Blomkvist oder der allzu beliebige Cut zum Ende des ersten Bandes. Dadurch geht ein bisschen die Eindringlichkeit des Originals flöten – Als Anhänger der Film- und Buchvorlage(n) sowie als Comic Fan fühle ich mich dennoch mit dem Einstand der Millennium-Trilogie (oder besser Hexalogie) gut unterhalten und wage dennoch eine Empfehlung auszusprechen. Nicht zuletzt aufgrund der hübschen Aufmachung, der Prägeschrift auf dem Rücken Lisbeths der Softcover-Fassung oder der besonders edlen gebundenen Ausgabe. Alle Nicht-Fans sollten einfach mal im Comicfachladen ihres Vertrauens ein Blick in das Ding werfen.

 

(7 von 10)
(7 von 10)

ISBN 978-3-86201-476-7 (Softcover Variante); 978-3-86201-477-4 (Hardcover)

Umfang: 144 Seiten, farbig

Maße: 17,1 x 25,9 cm

Klappenbroschur, Gebundene Ausgabe

Preis: 16,95 EUR SC, 24,95 EUR HC, erschienen bei Panini Comics

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About Rostig

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