Dornenreich – Her von welken Nächten (Review und Kritik)


Her von welken Nächten

In einem düsteren, scheinbar undurchdringlichen Wald ist ein Menschwesen aus unruhigen Träumen erwacht. Es ist von finsterster Nacht umgeben. Nur das kalte Leuchten des Mondes durchdringt die dichten Baumwipfel und bescheint den mit Gestrüpp überwucherten Waldboden mit seinem silbrigen, geisterhaften Licht. Kein Pfad ist zu erkennen, kein menschliches Geräusch zu vernehmen außer dem hektischen Atem des Menschwesens. Ein eisiger Windhauch durchdringt seinen nackten, schwächlichen Leib, und mit jähem Frösteln erkennt es, dass es allein ist. Vollkommen allein, isoliert von jeglicher Zivilisation, zum ersten Mal in seinem Leben.
In dieser rau und feindselig erscheinenden Naturumgebung liegt es nun an dem Wesen, sich der Aufgabe zu stellen, der sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens einmal stellen sollte: Der Suche nach dem eigenen Selbst, der Selbsterkenntnis.


So in etwa lässt sich das Szenario beschreiben, das Dornenreichs drittem Studioalbum und erstem Konzeptalbum „Her von welken Nächten“ aus dem Jahr 2001 zugrunde liegt. In neun lose zusammenhängenden, textlich sehr kryptischen Liedern wird der beschwerliche Weg beschrieben, den der namenlose Protagonist, das Menschwesen, auf der Suche nach sich selbst zurücklegen muss. Besagter Protagonist ist hierbei kein bestimmter Mensch – er kann vielmehr als ein Stellvertreter für das Wesen eines jeden Menschen betrachtet werden und dient auch der Identifikation mit dem Hörer.

Durch die ängstlich und unsicher in die Stille geflüsterte Frage „Was zieht her von welken Nächten?“, die im Verlauf des Albums immer wieder gestellt wird, beginnt der Opener „Eigenwach“ mit trügerischer Ruhe. Doch nur wenige Sekunden später wird unmissverständlich deutlich gemacht, woran man bei diesem Album ist: Angetrieben von schnellen, treibenden Drums beschreiben die harten, hektischen Gitarrenriffs eine wahre akustische Achterbahnfahrt. Die Melodie unterliegt hier keinem festen Schema, sie ist ständigen Veränderungen unterworfen, hämmernde, peitschende Parts folgen unmittelbar auf melodischere Abschnitte. Textlich wird beschrieben, wie das Menschwesen im Angesicht der Natur die Grenzen seines Wesens erkennt und so zu einer vorläufigen Erkenntnis kommt. Beachtlich ist hier und auch in den folgenden Stücken der sonderbare, hohe Gesangsstil von Sänger Evíga, der ein wenig an ein hysterisches Kind erinnert und stellenweise ängstlich, unsicher und zittrig wirkt, sich dann aber wieder zu wildem, manischem Geschrei steigern kann und dann puren Wahnsinn ausdrückt. Dieser wird gelegentlich um angenehme Tenorparts des zweiten Sängers Valnes ergänzt, welche durch ihre tiefe Ruhe einen starken Kontrast zu der Hektik und Verzweiflung des Gesangs von Evíga bilden.
Musikalisch dem sehr ähnlich schließt sich der zweite Song, „Ich bin aus mir“, an, in dem es darum geht, wie der Protagonist seine Isolation und Einsamkeit erkennt – ebenso wie die Einzigartigkeit seiner persönlichen Wahrnehmung, auf der sein ganzes „Ich“ basiert und die er niemals voll und ganz einem anderen Menschen erklären könnte.

Evíga und Valnes
Evíga und Valnes

Das Klanggewitter der beiden vorherigen Titel wird dann in „Wer hat Angst vor Einsamkeit?“ erstmals in geordnetere Bahnen gelenkt; das Lied hat im Gegensatz zu den Vorgängern eine durchgehende Melodie und einen sehr schönen, von der Violine begleiteten Refrain. Es wird erzählt, wie das Menschwesen seine Einsamkeit als natürlich akzeptiert und somit seine Angst vor dem Alleinsein ablegt. Gleichzeitig wird ihm aber unter verzweifeltem Geschrei bewusst, dass ihm dies nur mit einer an Selbstherrlichkeit grenzenden Selbstzufriedenheit möglich ist.
Passend dazu wird durch wütende Schreie der vierte Song, „Grell und dunkel strömt das Leben“, eingeleitet. Auch dieser weist einen wiederkehrenden Refrain auf, bei dem vor allem das Zusammenspiel von Violine und Schlagzeug zu gefallen weiß. Es geht hier darum, wie das Menschwesen über Beschränktheit seiner Gedanken und seiner leicht zu täuschenden Sinne sinniert.


Mit „Innerwille ist mein Docht“ folgt dann das erste von insgesamt drei akustischen Liedern. Es wirkt durch die alleinige Nutzung der Akustikgitarre und – gegen Ende – der Violine sehr minimalistisch. Hierbei kommt der zittrige, leise Gesang, hinter dem sich tieferer Wahnsinn zu verbergen scheint und der sich nur einmal zu einem Schrei steigert, besonders gut zur Geltung. Es wird das Ideal beschrieben, dass allein die Intuition und die innere Stimme zur Selbstverwirklichung ausreichend seien.
„Hier weht ein Moment“, in dem es um den Seelenfrieden während eines bewusst gelebten Momentes geht, schließt sich dem musikalisch nahtlos an.


Dornenreich
Dornenreich

Das darauffolgende „Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz“ durchbricht mit seinen melodischen E-Gitarrenriffs den Minimalismus der beiden vorhergehenden Stücke. Es ist dennoch vergleichsweise ruhig und sehr melodisch, wobei der Gesang sich zum Ende hin einmal mehr zu manischem Geschrei wandelt. Das Menschwesen geht hier mit sich selbst ins Gericht.
Mit „Trauerbrandung“, dem noch mal sehr harten vorletzten Lied, wird das nahende Ende der Suche des Menschwesens bereits angedeutet – sowohl textlich als auch musikalisch deutet alles auf ein Ende hin.
Dieses kommt schließlich mit dem akustischen letzten Stück „Mein Publikum – der Augenblick“. Nun hat das Menschwesen zur Selbsterkenntnis gefunden und geht beruhigt in den Tod. Die Instrumentierung wirkt hierbei melodischer und abwechslungsreicher als noch bei „Innerwille ist mein Docht“. Das Album wird somit sehr stimmungsvoll zu Ende gebracht.


Wenn man will, kann man die Stücke aus „Her von welken Nächten“ in drei Kategorien ordnen: Die erste beinhaltet „Eigenwach“ und „Ich bin aus mir“ und präsentiert sich musikalisch zwar sehr abwechslungsreich, somit aber auch recht hektisch – vielleicht ein wenig zu hektisch, denn diese Lieder benötigen einige Zeit, bis man sich wirklich an sie gewöhnt hat. Jedoch weiß das grandiose Intro von „Eigenwach“ von Anfang an zu überzeugen.
Die drei akustischen Lieder „Innerwille ist mein Docht“, „Hier weht ein Moment“ und „Das Publikum – Der Augenblick“ hingegen wirken sehr minimalistisch und sind somit wenig dazu geeignet, sie einfach so zwischendurch zu hören. Sie entfalten ihre Wirkung nur, wenn man das Album am Stück hört, aber dennoch fallen sie den anderen Liedern gegenüber ab.
„Wer hat Angst vor Einsamkeit?“, „Grell und dunkel strömt das Leben“, „Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz“ und „Trauerbrandung“ schließlich präsentieren sich recht hart, aber weisen wesentlich mehr Struktur auf als die ersten beiden Titel – dadurch sind sie letzten Endes die stärksten Lieder des Albums und eignen sich auch zum kurzweiligen Anhören zwischendurch.

Schwarzenews
Ridley

Fazit:
Mit „Her von welken Nächten“ haben Dornenreich einen fulminanten Abschluss ihrer härteren „ersten Phase“ geliefert. Auch wenn das Album musikalisch nicht mehr viel mit dem rauen Black Metal der ersten Tage zu tun hat, gibt es sich in Sachen Härte keine Blöße. Dieses Album ist ein musikalisch wie auch textlich komplexes Konzeptalbum, dessen vollkommene Wirkung nur entfesselt wird, wenn man es am Stück hört, aber auch so beinhaltet es einige Ohrwürmer, die man immer wieder zwischendurch hören kann – allen voran das tolle „Wer hat Angst vor Einsamkeit?“. Besondere Beachtung verdienen die komplizierten, frei interpretierbaren Texte. Diese sind wie für Dornenreich typisch sehr gut und poetisch, allerdings selbst mithilfe der entsprechenden Erläuterungen im Booklet schwer zugänglich. Dies mag durchaus abschreckend wirken, aber „Her von welken Nächten“ ist eine Kaufempfehlung allein musikalisch schon absolut wert – auch wenn das volle Erlebnis natürlich nur im Verbund von Musik und Text zustande kommt.

Bieberpelz
Bieberpelz


Zweite Meinung:

Ich träume … ich schreie … ich kämpfe … MIT MIR!

10 Punkte




Trackliste:

  1. Eigenwach
  2. Ich bin aus mir
  3. Wer hat Angst vor Einsamkeit?
  4. Grell und dunkel strömt das Leben
  5. Innerwille ist mein Docht
  6. Hier weht ein Moment
  7. Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz
  8. Trauerbrandung
  9. Mein Publikum – Der Augenblick


(10/10)
(10/10)

Anspieltipps:
-Wer hat Angst vor Einsamkeit?
-Grell und dunkel strömt das Leben
-Trauerbrandung


Dornenreich – Homepage
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