Freiburg - High Five Zukunft

Freiburg – High Five Zukunft (Review und Kritik)

Freiburg - High Five Zukunft

Heda! Was für eine Entwicklung – Nach zwei EP´s gibt es nun folgerichtig auch die erste Langspielplatte von Freiburg auf die Ohren. Trieb man vormals im Fahrtwasser von verspieltem Indie-Pop, geprägt von dem Umfeld der  Hamburger Schule und Artisten aus dem GhvC-Portfolio, deutete bereits die „Pi mal Daumen“-EP einen deutlich härteren, vor allem aber schwermütigeren Ton an. Mit dem ironischerweise „High Five Zukunft“ betitelten Albumdebüt unterzieht man den eigenen Sound erneut einer Frischzellenkur. Und die ist in erster Linie schmutzig, verbraucht und abgrundtief hoffnungslos. Was hier zelebriert wird ist alles andere als lebens- und zukunftsbejahend, stattdessen treibt man die nihilistische „Fuck off“-Attitüde vorläufig auf die Spitze. Emo-Punk ist nun das Genre-Etikett, deutlich stürmischer das Gesamtprodukt. Sägende Gitarrenwände, ein bedrohlich wummernder Bass, druckvolle Schlagzeug-Parts und stakkativer Schreigesang sind der Stoff aus dem die vinylgewordenen Großstadt(alp)träume sind.

Der Opener „Siehst du die Träne“ ist bereits bekannt, hat er doch schon die letzte EP eingeleitet. „Goodbye Future“ –Verweigerung wird zum Maßstab, und so wird gleich zu Beginn ein dickes, fettes „Nein!“ hingerotzt. Im Gegensatz zum ursprünglich sehr Britpop-lastigen, soundtechnisch ausdifferenzierten Original ist die Album-Fassung hier deutlich dreckiger und kantiger geraten. Das immer wiederkehrende Motiv des Albums -„Kotzen“- wird musikalisch ansprechend adaptiert. Ein schöner Einstand für das Album.

Format C://“ wurde bereits vorab veröffentlicht, und kann auch auf freiburgs myspace-Webpräsenz angehört werden. Nicht zuletzt weil es eines der Highlights des Albums darstellt. Was anfangs wie eine straighte, jedoch konventionelle, flotte Punkrocknummer anmutet, verliert bald zwar an Tempo, gewinnt jedoch enorm an Intensität, und hat einige „nette“ Zeilen in Petto, die auch von einem gewissen Herrn Rachut stammen könnten -.“Alles schreit nach Sünde/und es stinkt nach schlechtem Gewissen/doch ihr habt „Nein“ gesagt/aber es mit J und A geschrieben“ – Inhaltlich wird wie so oft auf dem Album, und dem Titel gemäß, ein Abgesang auf Zukunft, das alte auf-Nummer-sicher-gehen und die bitteren Früchte der Lohnknechtschaft heraufbeschworen. Das ist der Sound einer desillusionierten Jugend. Überhaupt orientiert sich das Album, von der Machart her, sehr an den Rachut-Kapellen wie Oma Hans, Dackelblut oder Blumen am Arsch der Hölle. Als weitere erkennbare Referenzen dienen wohl auch die späten Turbostaat-Veröffentlichungen. Das ist gut, und nichtsdestotrotz behält man die eigenen Trademarks bei. Die Texte, ursprünglich das Manko des Freiburg-Materials, sind deutlich erwachsener geworden. Direkt, bildmächtig, ein wenig in die Fresse, manchmal aber auch kryptisch-introvertiert und geheimnisvoll. Jonas Brinkrolf hat zudem eine sehr eigenwillige aber nicht weniger markante Art und Weise seine Zeilen unters Volk zu bringen. Wie die Kollegen von alternativmusik.de so treffend formuliert haben, er scheint das Singen als eine Art Kampfkunst zu betrachten. Und tatsächlich assoziiert man dabei immer wieder ein hochrotes, schwitziges Haupt, das um jedes Wort und jeden Vers ringt.

Dass hierbei nicht jeder Ton getroffen wird, ist überhaupt nicht von Belang, denn als passionierte Waffe, deren Kugeln den geneigten Zuhörer mitten ins  Herz treffen, funktioniert das Ganze vortrefflich und bringt das Textmaterial treffsicher und adäquat rüber.

Bei „,…Kotzen, Heulen, Dorfdisco!“ ist Thomas Driftschröer am Mikrofon zu hören, eine kleine, aber gelungene Abwechslung. Im Gegensatz zu seinem Kollegen klingt dieser einen ganzen Tacken dezenter, gleichsam aber auch irgendwie frisch, kindlich-ungestüm und energisch. Eine ganz große Nummer hingegen ist der Titeltrack „High Five Zukunft“, eingängige, sägende Gitarrenarbeit bilden das Fundament für einen extrem zynischen, finsteren Zukunftsausblick, der durchgehend als Mantra formuliert wird. Der Song wächst bedrohlich, um dann in einem kurzen Moment der Stille als Zäsur, nahtlos in aggressives Noise-Geschrammel zu münden. Der Nachfolgetrack „Der schäbigste Laden in der hässlichsten Stadt“ gestaltet sich erstaunlich poppig, insbesondere der Refrain ist einprägsam und bleibt im Ohr haften. Auch sloganartige Zeilen wie „In dem schäbigsten Laden/In der hässlichsten Stadt/schreien drei Akkorde mir die Seele aus dem Leib“ tragen ihr übriges dazu bei. „Der zwischenmenschliche Verlust des Robert K.“ könnte glatt der Titel eines Kafka-Stückchens sein, auch hier wird Ich-Verlust und Ich-Suche thematisiert. Ähnlich wie bereits bei „Ein Hoch auf die Kinder“ von der letzten EP wird die Entfremdung vom spießbürgerlichen Elternhaus beschrieben. Wie der Ablösungsprozess itself ist der Song sehr hektisch, nervenaufreibend und fast schon hysterisch geraten. Erneut wird gegen Ende des Stückes auf eine deutliche Zäsur zurückgegriffen. Ein kollektiv Wir wird heraufbeschworen, wenn mehrstimmig im Chor gesungen wird: „Ich dachte wir sind individuell/Wo sind die ganzen Alternativen hin?“. Gefällt.

Der Anspieltipp schlechthin ist aber „Ich schreibe ein Buch“, begleitet von schwerfällig-entrückten, monumentalen und progressiven Gitarrenklängen erzählt Herr Brinkrolf mit ebenso rastlos-zerfahrenem Gesang von Leere und Einsamkeit, Schuldgefühl und Resignation. Ein sehr bedrückendes Machwerk, welches stimmungsmäßig sogar in ähnliche Regionen hinabsteigt wie etwa Joy Division oder The Cure zu Pornography-Zeiten:

(„Ich schreibe ein Buch und vergrabe es/ Zusammen mit den Dingen die mich halten/ Es ist Gott sei Dank nicht viel/denn ich habe keine Kraft mehr“; „Mein  Körper ist ein Auffangbecken für Schuld und die Sünde“). Nach diesem Ruhepol (der keiner war/ist), wird der Hörer mit dem extrem vorpreschenden und hitzigen „Herz = Lüge“ direkt ins kalte Wasser geworfen, an welchen sich der schwerblütige „Roboter“ anschließt. Ich fühle mich bei diesem Song sehr an Matula erinnert. Das ganze ist recht melodisch geraten, in Brinkrolfs Gesang schwingt stets eine subtile Melancholie mit. Drückende Gitarren und ein grandioser Refrain sprechen für sich. Thematisiert wird die mechanische Komponente in Beziehungen, falsche Empathie und blindes Kalkül. Der schöne Refrain spricht für sich: „Der Roboter nimmt mich in den Arm/und er wünscht mir alles gute/Traurig/Es fühlt sich viel zu gut“.

Den (offiziellen) Abschluss bildet dann die ruhige Akustik-Nummer „Der sterbende Schwan im Tuntenballett“. Irgendwo zwischen Pohlmann und dem alten Gisbert zu Knyphausen angesiedelt, kann mich diese Nummer nicht so richtig überzeugen. Weder textlich, noch musikalisch. Das ganze hat einen gewissen repetetiven Charakter, der mich außerordentlich stört. Zum Glück gibt´s aber noch den Bonustrack – „Siehst du den Trance“ bereitet den Opener noch mal in einer Hardstyle/Techno/Trance (?)-Fassung auf. Das ganze ist zwar eher mit einem Augenzwinkern zu betrachten, aber hey, das Stück macht gut Laune, ist originell und perverserweise sogar gut tanzbar. Was will man mehr?

Martin "Rostig" Pilot

Fazit: Freiburg auf der Überholspur! Mit ihrem Erstlingswerk haben sie eben mal die Messlatte für ihr eigenes Schaffen beachtlich hoch gesetzt. Mit „High Five Zukunft“ bekommt der Hörer ein erwachsenes Debüt, welches marode, versicherungsgeile und konventionelle Lebensmuster gezielt auseinandernimmt. Das mag finster sein, das tiefsinnige Punkgeballer sitzt aber. Der Sound wirkt dreckig, die Texte unheilvoll, verzerrte Bässe und schrammelnde Gitarren sorgen für eine auswegslose, beinahe klaustrophobische Atmosphäre. Wenn die Entwicklung so kontinuierlich fortgesetzt wird, dann ist es durchaus denkbar, dass die Jungs von Freiburg irgendwann gar zu den Zugpferden des Genres gehören könnten.

Trackliste:

  1. Siehst du die Träne
  2. Format C://
  3. …, Kotzen, Heulen, Dorfdisco!
  4. High Five Zukunft
  5. Der schäbigste Laden in der hässlichsten Stadt
  6. Der zwischenmenschliche Verlust des Robert K.
  7. Der Hafen abgebrannt
  8. Jürgen, halb 11 an der Bar
  9. Ich schreibe ein Buch
  10. Herz = Lüge
  11. Der Roboter
  12. Der sterbende Schwan im Tuntenballett
  13. Siehst du den Trance (Bonus)

( 8,5 / 10 )

Erscheinungsdatum: 02. Oktober 2010

Anspieltipps: Ich schreibe ein Buch, High Five Zukunft, Format C://

Label: Eigenproduktion/ Vertrieb über Farblos Records/This will be on your favourite Mixtape Records

Webpräsenz: freiburg-band.de

Myspace: Freiburg bei Myspace

About Rostig

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