Freiburg - Pi mal Daumen (EP)

Freiburg – Pi mal Daumen (Review und Kritik)


Freiburg - Pi mal Daumen (EP)
Freiburg - Pi mal Daumen (EP)

Freiburg, die zweite – Man erinnere sich, vor knapp einem halben Jahr flatterte mir das Debüt einer jungen und überaus symphatischen Herzebrocker Formation zur Tür hinein. Die EP In einer Zeit bot der Hörerschaft mal verspielten, mal ungeschliffenen deutschsprachigen Indiepop, schrieb dabei aber immer den Abwechslungsreichtum groß. Ungeschliffen – Das betraf auch die Produktion der Scheibe, welche wie eine Reminiszenz an das Debüt der Tocos schien. Dabei wollte man es aber natürlich nicht beruhen lassen.


Man verkroch sich alsbald zurück in die Proberäume, schrieb neue Songs und bannte sie schließlich auf den just mir vorliegenden Silberling – „Pi mal Daumen“ nennt sich das Zweitwerk und schlägt überraschenderweise eine völlig neue Richtung ein. Vorbei sind die Zeiten leichtfüssiger Eingängigkeit – Diese ist nun vollends gewichen, und macht Platz für einen deutlich raueren Tenor. Zwar lässt dieser immer noch ein paar wenige Britpop-Krümel erkennen, doch lehnt sich das neue Soundgewand vielmehr an klassischen Hardcore-Punk an. Auch auf inhaltlicher Ebene zeigt man sich deutlich gereift. Konnte man vormals den lyrischen Elaboraten einen unfreiwillig komischen Pathos vorwerfen, fallen  diese nun deutlich minimalistischer, dezenter und prägnanter aus – Sie spiegeln eine gewisse bodenständige Alltäglichkeit wieder, demaskieren sie jedoch zugleich, und greifen sie offensiv an. Das ist desolater Indie-Punkpop nach „But Alive…“-Manier.

Den Anfang macht „Siehst du die Träne“ – Was mit zurückhaltenden, verspielten Gitarrenklängen  beginnt, artet in eine wüste, kompromisslose Anklage aus. Nicht der Konsens ist die Antwort, keine emotionale Restaurierung der Seele – Tabula Rasa ! Man will alles, und zwar alles neu – „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul – Doch ! Doch ! Doch !“ Dieser Song ist ein Paradebeispiel für die neue stilistische Ausrichtung Freiburgs. Gekonnt wird der Spagat zwischen eingängigen Melodien und einer treibenden, zuweilen gar hypnotisch wirkenden Songlinie gemeistert. Brinkrolfs rauer Gesang vermittelt durchaus Gefühl, aggressiv und sehnsuchtsgeschwängert, gliedert er sich nahtlos in den Klangteppich ein.

Auch die nachfolgenden Tracks folgen diesem Beispiel, wenn auch deutlich gemäßigter. „Ein Hoch auf die Kinder“ beschreibt einen immerwährenden Generationenkonflikt, das Aufbegehren gegen alte Werte, alte moralische Konstrukte und überholte Vorstellungen von der Welt – milieudicht skizziert der Song deutsche Realität, vielleicht zuweilen ein wenig überzeichnet, aber gerade durch diese Art der Distanzierung erhält der Song eine gewisse kommentierende Position, und wenn dann im Refrain mehrstimmig und mit parolischer Schlagweite ein Toast auf die Kinder ausgegeben wird, dann kommt man um ein Schmunzeln nicht umhin. Im Midtempo-Bereich entfaltet der Song zwischenzeitlich auch mal einen sehr resignierenden Charakter, und treibt auch einfach mal vor sich hin. Irritierend wirkt vielleicht nur der etwas abrupte Übergang zum nächsten Song, hat etwas gehetztes an sich, etwas stockendes.

Der Titeltrack „Pi mal Daumen“ will mir nicht recht gefallen, zu groß der Drang weiterzuskippen. Es ist einer der Songs, die zwar durchaus angenehm im Ohr säuseln, aber dabei bleibt´s dann auch – Keine großen Melodien, die haften bleiben. Dazu scheint er schlicht zu auswechselbar; zu banal. Das aber macht „Schlimmer als Hass“ wieder wett, eine ganz große Nummer, die mir eingangs jedoch einen kleinen Schreckmoment verpasst, angesichts eines lyrischen Faux-Pas der so hätte nicht kommen dürfen, nichtsdestotrotz – der Song pendelt sich langsam ein, und entwirft melancholische Bilder, die wie eine langsam verblassende Farbfotografie einer zivilisierten Gesellschaft wirkt. – Der Song ist ein Mahnmal, eine Appelation an den gesunden Menschenverstand – Weg von der Wegsehgesellschaft. „Utopisches Denken für Utopische Menschen – Zu groß sind diese, faschistischen Grenzen – Doch die Grenzen sind, die Grenzen unsererselbst, da unserselbst sich selbst verletzt“ Großartiger Song und unbedingter Anspieltipp.


Martin "Rostig" Pilot
Martin "Rostig" Pilot

Fazit: Freiburg sind erwachsen geworden in nur knapp einem halben Jahr. Zeigte das Debüt zwar das Potential aber ebenso einen gewissen Dilletantismus der Band, so ist die „Pi mal Daumen“-EP ein großer Entwicklungsschritt und zeigt den uneingeschränkten Facettenreichtum der Band. Die Scheibe hat durchaus Ohrwurm-taugliche Songs in Petto, und die stilistische 180 C* Wende bringt frischen Wind, welcher dem Sound merklich gut tut. Auch die trockene, recht herbe Produktion trägt ihren Teil dazu bei, unterstreicht sie doch den schärferen Ton der Band. Die Band ist auf jeden Fall im Auge zu behalten, ich bin sicher, sie hält noch ein paar ganz große Stücke bereit.


Tracklist:


  1. Siehst du die Träne
  2. Ein Hoch auf die Kinder
  3. Pi mal Daumen
  4. Schlimmer als Hass


8/10
8/10

Anspieltipps:

Siehst du die Träne

Schlimmer als Hass

Erscheinungstermin:

Bereits erschienen

Webpräsenz: Klick

About Rostig

Alter: 23 Beruf: Student Lieblingmusik: Querbeet Hobbys: Musik, Videospiele, Filme, Schreiberei, Kunst

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