Früchte des Zorns live in Detmold am 03.04.09

Früchte des Zorns
Früchte des Zorns

Was ist der Mensch ? Ein bloßes Fleischkonglomerat mit falscher Seele und  falschem Sinn, welches sich in ein scheinbar neologistisches Klassensystem einordnet und sich bereitwillig unterdrücken lässt,  und ebenso willkürlich unterdrückt ? Ist eine Wertehierarchie der Repression wirklich die Antwort auf unser Schaffen und unser Tun ?  Und müssen wir unsere Einsicht, nicht frei und glücklich zu sein,  wirklich im kunterbunt-grauen Konsumrausch ersticken ?  Geht  die Rationalität, das starre, alltagskompatible Denken in den Köpfen der Menschen der Bequemlichkeit wegen über Herz, Leidenschaft und Nächstenliebe ?


Geradezu programmatisch im Hinblick auf diese Fragen wirkt da das Intro des Stückes „Schlag zurück“  von den Früchten des Zorns

„Das Säurebad, die ausschlachtenden Blicke,
der tägliche Gang durch einen Käfig voller Messer,
die verbalen Angriffe auf der Straße, die dich treffen wie Bombardements,
doch die Angst, die dir die Lippen zunäht.
Der Alltag der dich täglich zerstümmelt,
und das sprachlose Ertragen,
die Erniedrigung gehorchen zu müssen,
obwohl der Puls in deinen Schläfen schreit.“

Doch man gefällt sich nicht bloß in der Rolle des steten  Anklägers, denn mit dem Maul aufreißen ist es längst noch nicht getan – Es wird appeliert, zu handeln und aufzustehen mit jedweden kreativen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen  :

„Schlag zurück!

Mit Worten, mit Fäusten,
mit Lachen, mit Schreien.
Tausend Wege,
finde deinen.“

Die Früchte des Zorns rufen zu  nicht weniger als zur sozialen Revolution auf – Vorneweg – Die Früchte des Zorns verstehen sich weniger als klassische Band, denn vielmehr als linkes Musikerkollektiv, welches z.Zt. aus drei Menschen besteht – Da wären Mogli (Gesang und Gitarre), Anke (Geige, Posaune, Bratsche, Gesang) sowie als letzte im Bunde,  Hannah (Schlagwerk, Gesang), die sich irgendwo inmitten vom Folk– und Liedermacher-Einerlei eine ganz eigene Nische gebildet haben. Im Rahmen ihrer aktuellen Tour beehrten sie auch das kleine, aber feine autonome KulturzentrumDie alte Pauline“  in der Detmolder Innenstadt.

Der offizielle Beginn lag bei Punkt 8:00 Uhr, allerdings ließ man sich noch ganz linkskultur-typisch bis ca. 9 Uhr Zeit, bis die Vorstellung endlich beginnen durfte. In der Zwischenzeit wuselten bereits zahlreiche Menschen um und auch in der „Alten Pauline“ rum,  man vergnügte sich bei Smalltalk und dem ein oder anderem Bier. Kurz vor 9, bezogen die meisten Leute dann auch auch ihre Positionen in den bestuhlten Reihen. Nach dem Stimmen der Instrumente fiel dann auch mit dem Stück „Brennen“ der Startschuss für einen nahezu unvergesslichen Abend –  Von Anfang an umgab das Konzert eine Intensität,  die man schwer in Worte fassen kann.  Die schwermütig-fragilen und doch hoffnungsvollen Klänge, die rohen Arrangement,  die feste und klare Stimme Moglis drangen trotz reinem Akustikset bis in die hintersten Winkel des Raumes – Eine bedächtige Stille ging vom Publikum aus,  während man selbst gebannt auf das musikalische Geschehen  fixiert war.

Auch wurde hier nochmals der intime Rahmen betont,  jeder Klang, jeder Ton, jeder Besenstreich  war deutlich vernehmbar und ließ augenscheinlich nicht nur mir den Schauer über den Rücken jagen. Der Song ist eine Appelation an das Kritische Betrachten des eigenen Lebens – „ Erkenne in was für einer Gesellschaft du lebst, um sie bewusst verändern zu können. Wenn nicht du,  wer dann ?“ lautet ein zentrales Motiv- Als solche, ist sie dann auch ganz klar formuliert :

„Frag dich selbst, bist du glücklich mit deinem Leben?
Ist das, was du machst, wirklich das, was du machen möchtest?
sparst du Zeit, und wofür sparst du sie?
Wenn es einen Film über dein Leben gäbe, würdest du ihn anschauen, würde er dich faszinieren? „

Weiter ging es im Songreigen mit dem Lied „Das macht ihr nicht Kaputt“  – Eine wütende und zugleich sehnsuchtsvolle Ode an das Leben – ein Leben jenseits von Konsumstreben und Konvention,  ein Leben voll von kreativem Aktionismus, ein Leben dass es zu erhalten gilt – Mit den zarten Saitenklänge der Akustikgitarre, den kreisenden Streichern und dem zerbrechlich aber standhaft wirkenden Gesang ergab sich hier ein von Weltschmerz und Resignation triefendes Klanggebilde,  dass eine so intensive Erfahrung für mich war, dass ich erstmal schlucken musste. Nichtsdestotrotz schwang in der latenten Wut die stets präsent schien,  ein Hoffnungsfunken mit, der vielleicht auch dringend nötig ist. Ganz großes (Kopf)kino.

Das Nachfolgestück „Unser Haus“  behandelt(e) gerade in den letzten Tagen ein brandaktuelles Thema.  Selbst organisierte Räume sind nötige Räume,  die für jeden offenstehen sollen und sich mit einem emanzipatorischen Gedanken und Anspruch mit ihrer Umwelt auseinandersetzten wollen. Fernab von Repression, Überwachung, Konformitäts und -Konsumdruck darf und soll der Mensch sich hier frei entfalten können – Gerade dieser Anspruch konnte aber aufgrund staatlicher Repressalien in den letzten Tagen in Erfurt nicht erfüllt werden.  Zugunsten der Domicil Hausbau GmbH wurde Anfang April  ein richterlicher Beschluss erlassen, wonach das besetzte Haus recht bald geräumt werden sollte, was dann auch innerhalb der letzten Tage stattgefunden hat. Der Song ist eine Solidarisierungsgeste mit Projekten dieser Art und zeigt irgendwo zwischen Wut und Sehnsucht auf wunderschöne Art und Weise Facetten, die der breiten Öffentlichkeit so verborgen bleiben.

Mit „Gradeaus oder nach Vorn“ wurde schließlich ein Stück von der letzten Veröffentlichung „Wie Antennen in den Himmel“  gespielt,  welches sich mit Sucht und Verhaltensmustern beschäftigt,  welche einen ganz vereinnahmen und aus denen man nicht mehr rauskommt.  Auch hier  schaffte man es,  ein der Thematik entsprechendes musikalisches Grundgerüst zu gestalten – Mit schnellen, hämmernden, pochenden Streich und -Gitarreneinlagen und stakkatoartigem Rhytmus konnte hier eine Spannung aufgebaut,  die im Zusammenspiel mit der aggressiv-verzweifelten Gesangslage einen wahrlich mitnimmt. Gefolgt wurde dieses Stück wie auch bereits auf der Scheibe von „Nadelregen“, einem meiner ganz persönlichen Favoriten – Da kreist die Posaune schwermütig um ein langsam-melancholisches Tongemäuer,  und unterstreicht die expressive Kraft der Stücks ohnegleichen – „Das ist kein Leben, nein,  das ist Luftholen“ – Ein Kribbeln in der Magengegend inklusive. Mit „Unter unserer Haut“ und „Sehnsucht nach den großen Gefühlen“ sind dann auch zwei brandneue Songs gespielt worden, die ebenfalls in die tiefmelancholische Kerbe schlugen. Ich freu mich jedenfalls, wenn sie demnächst irgendwann auf Platte gepresst werden.  Direkt im Anschluss ging es weiter mit dem LiebesliedScheren in den Jackentaschen„,  welches ein Gänsehautgarant ist, wie er im Buche steht.  Zerbrechlich,  bitter schmeckend und doch wunderschön.

Auch besondere Erwähnung dürfte hier der Song „Dein Haus ohne Tür„, welcher sich nach „Wenn er stirbt“  in die Gehörgänge des Publikums nagte – Ein Song über und gegen sexualisierte Gewalt, der wie ein Faustschlag in die Magengrube ging und bei nicht wenigen gar Tränen hervorrief.  Die eindringliche Stimme kam hier besonders zur Geltung, gepaart mit Ankes  tief bohrenden, wütenden Geigenklängen. Emotionenrausch in Reinkultur – Mit einfühlsam aggressiver Sichtweise im Hinblick auf ein Tabu-Thema. Dieser Song ist harter Tobak und ich hier konnte ich auch gut nachvollziehen was Yok (Quetschenpaua, you know ?) damit meinte, dass die Früchte des Zorns für ihn in kleinen Proportionen besser dosierbar seien. Eigentlich komisch, wenn man bedenkt,  dass hier ein sensibles Thema aufgearbeitet wurde, dass so Tag für Tag irgendwo auf der Welt, manchmal auch direkt in der Nachbarschaft geschehen kann (oder auch geschieht) und das offene Wort einem doch solch ein Unbehagen bereitet, dass einen doch eher zum Wegsehen hin animiert, obwohl doch gerade das der falsche Weg ist.  Und wie anders kann man diese Wegseh-Kultur überwinden, als dass man offenen Auges durch die Welt geht – Getreu diesem Motto hieß  dann auch das nächste Stück „Passt aufeinander auf“,  einem Lied,  dass zu mehr Gemeinschaft und kollektiver Tatkraft aufrufen will. Hier setzten dann auch mal alle Stimmen gleichzeitig ein, begleitet von einer dezenten Gitarrenlinie.

Neben zwei weiteren, neuen  Songs („Alles hat Sinn„, „Was ist (eigentlich Liebe)“) ertönte dann schließlich  der Auftakt meines Lieblingsstückes – „ Mein schönstes Kleid“ – Das Lied ist möglicherweise auch eines der zentralen Werke im gesamten FdZ-Portfolio. Es ist ein Stück, dass sich gegen Homophobie und Sexismus wendet in dem offen das Bedürfnis beschrieben wird, sich angstfrei bewegen zu können – ungeachtet als welcher Mensch.   Dass Toleranz gegenüber solcher Unverblümtheit keinesfalls eine Selbstverständlichkeit ist (obwohl sie es doch sein sollte) zeigt sich sowohl tagsüber auf offener Strasse aus Mündern scheinbar kultivierter Menschen, in den Schulen, angefangen bei Beschimpfungen wie „Schwuchtel“ oder schlimmerem und zieht sich durch alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens, auch in der sonst so toleranten Links-Kultur. Es verdient Respekt, dass ein Thema, welches sonst eher ein Randdasein fristet, auch mal den gebührenden Platz in konkreten Worten erhält. Es ist mutig und nötig diese Worte auch mal zu sagen. Das direkte Aufbegehren wurde  auch in so Songs wie „Schlag zurück“ aufgearbeitet,  dessen Textstellen ich anfangs bereits als Einleitung „missbraucht“ habe. Die Rohheit und Direktheit der Worte die hier zum Zuge kamen,  wurden unterstrichen durch das ebenso minimalistische Arrangement, welches hauptsächlich durch Hannahs präzises Rim-Klicking getragen wurde.

Das Ende des regulären Sets läutete schließlich „Das Herz ist ein Muskel in der Größe einer Faust“ ein,  ein Song der wohl zugleich am besten zusammenfasst, worum es konzeptuell bei Fdz geht. Nämlich die Initiative zu ergreifen, dem Willen zu folgen gemeinschaftlich die Dinge zu bewegen und zu verändern.  Nach diesen knapp 1 ½ Stunden Spielzeit folgten dann noch 2 Zugaben : Nämlich der grandiose KlassikerIn meinem Kopf ist eine Bombe“ , welchen dann im Saal auch wirklich jeder mitsingen konnte oder das nicht weniger gute „Nimm mich mit„. Schade fand ich persönlich, dass „Scheiben splitternnicht gespielt wurde, das konnte man jedoch verschmerzen, und die Setlist war dennoch in sich stimmig und klasse.

Fazit: Was bleibt zu sagen ? Das Konzert war in allen Belangen hervorragend. Die Klänge der Früchte des Zorns sind für mich die auf auditive Ebene transponierte Sehnsucht nach einem besseren Leben. Kompromisslos, subversiv und voller Passion. Es braucht keine visuellen Raffinessen oder eine ausgefeilte Bühnenshow um zu beeindrucken.  Man braucht sich einfach nur von den Worten, den Klängen mitnehmen zu lassen und sie an sein Bewusstsein dringen zu lassen, um zu wissen, was sie für einen bedeuten. Ich danke für diesen wundervollen Abend.

Setlist:

1. Brennen

2. Das macht ihr nicht kaputt

3. Unsa Haus

4. Geradeaus oder nach vorn

5. Nadelregen

6. Unter unserer Haut

7. Sehnsucht nach den großen Gefühlen

8. Scheren in den Jackentaschen

9. Wenn er stirbt

10. Dein Haus ohne Türen

11. Passt aufeinander auf

12. Alles hat Sinn

13. Liebeslied

14. Was ist (eigentlich Liebe)

15. Mein schönstes Kleid

16. Schlag zurück

17. Koffer voller Fragen

18. Das Herz ist ein Muskel in der Größe einer Faust

Zugaben:

19. In meinem Kopf ist eine Bombe

20. Nimm mich mit

Webpräsenz: Früchte des Zorns

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