Kolumne: „Früher war alles besser“

Den Spruch kennt hier wahrscheinlich jeder, vor allem wenn es um die Musik und das Gruftisein an sich geht. Doch warum kommt dieser verurteilende Spruch eigentlich immer wieder zum Ausdruck? War früher alles besser, oder sind wir einfach nur zu beschränkt für Neues? Eine wichtige Frage für die dieswöchige Kolumne.

Früher war alles besser, da konnte man noch regelmäßig in die Diskothek seines Vertrauens gehen, ohne sich Gedanken darüber zu machen ob man am nächsten Tag fit für die Arbeit sein muss, oder ob man vielleicht doch ein Bier weniger trinken sollte. Man traf gute Bekannte nur auf einschlägigen Veranstaltungen wieder, man haute sich die Nacht um die Ohren und musste sich nicht langweilen. Heute gehören, zumindest für mich, regelmäßige Abende in der Disko weitestgehend der Vergangenheit an. Nicht nur, dass auch viele Freunde keine Zeit oder Lust haben den Abend gemeinsam im Club zu verbringen, auch die Musik wird von Mal zu Mal uninteressanter bzw. einfältiger.

Mit den ersten Jahren in der Szene verbinde ich neue und einzigartige Erlebnisse, den ersten Alkoholrausch, die Freude am tanzen, neue Leute kennenzulernen und eine atemberaubende Zeit, die einen immer wieder in Erinnerungen schwelgen lässt. Man kannte seine Lieder, zu denen man sich von der Bar erhob und sich im Rhythmus der Musik auf der Tanzfläche bewegen musste. Ja, man musste das einfach tun. So euphorisch das auch klingen mag, die Lieblingslieder waren es, die meinen Geist plötzlich belebten. Heute kommt es eher selten vor, dass altbekannte Lieder einen so sehr bewegen, dass man sich seinen Gefühlen überlässt, sich der Musik hingibt und nicht an das Morgen denkt.

Gothic Party 1

Doch da gibt es noch etwas anderes, etwas was einen noch viel mehr ärgert: denn mittlerweile kotzt es einen zudem an, dass der DJ immer wieder das gleiche, langweilige Zeug spielt, und sich praktisch mit seiner Playlist auf der sicheren Seite fühlt. Die Leute tanzen ja auch, sie feiern den DJ, dass er die besten (das sei hier dahingestellt) Songs der letzten Jahre in seinem Abendprogramm vereint, und diese ohne jegliche Übergänge aneinander klatscht. Selten kommt man mal was Neues zu hören, eigentlich nie. Früher oder später gehen einem dann auch „Koprolalie“, „Pong“ oder „Bind, Torture, Kill“ auf die Nerven, einfach, weil man es schon eine Million mal gehört hat und eigentlich bereit für andere, weitaus bessere, Musik ist. So ist es auch kein Wunder, dass ein Bekannter, der eigentlich keine Musik der Schwarzen Szene hört nach seinem dritten Partybesuch fragte, ob denn immer nur des selbe gespielt werde.

„Manche denken es läge vielleicht an der (Industrial)-Musik oder an zu vielen DJs, die sich untereinander Konkurrenz machen, da traut sich keiner mehr, was Neues zu spielen. Das war früher anders, es gab einen besseren Zusammenhalt, wenn einer innovative Sachen gespielt hat, wollte der anderen das auch. Das Publikum hat sich verändert und die Djs, wenn die wieder besser kooperieren würden, könnten viel besser neue Sachen, neue Bands fördern, also einen Schritt weit an die Zukunft denken. Letztendlich wird der Geschmack des Publikums dadurch „weich gespült“, wenn nur immer die gleichen Sachen gespielt werden und diesem Trend kann man sich nur schwer entziehen.“
DJ Diva in einem Interview 07.11.2013 von Meirah Wefing

Hat der DJ vielleicht genau so Angst vor Veränderung? Wer weiß, ich bin kein Schallplattenalleinunterhalter um das beurteilen zu können. Ich würde mich zumindest über eine gute Mischung aus unbekannteren älteren und neueren Songs freuen, die nicht nur für mich noch vollkommenes Neuland sind und einfach noch nicht totgespielt sind. Nicht diesen Mix aus Industrial und Pop, der jetzt schon seit 5-6 Jahren Abend für Abend aus den Boxen dudelt. Würde der DJ einen Abend lang alles anders machen, vielleicht mal wieder was aus den 80ern spielen, was ich noch nicht kenne, einmal das provokative Geschranze weglassen und sich auf diejenigen konzentrieren, die seit Jahren monatlich zu seinen Partys kommen, würde sich der Abend auch wieder für regelmäßige Besucher lohnen.

Damien Rave, seines Zeichens Projektleiter bei Dark News und DJ beim Forellenfriedhof hat sich aus diesem Anlass mal in die Tiefen des Gruftgeschranzes gewagt und die Lieder in einem Mixtape zusammengestellt, die er einfach schon zu oft auf Partys hören musste:

The most Overplayed Gothic Electro Clubsongs by Damien Rave on Mixcloud

Doch würde sich die Mehrheit für das Neue ebenso öffnen? Die Frage sollte hier unbeantwortet stehen bleiben, und euch, werte Leser, zum Nachdenken anregen. Wer sich gerne andere Meinungen zum Thema ansehen möchte, ist in diesem Thread bei Dunkles Leben sicherlich gut aufgehoben.

Gothic Party 2

Klar war früher alles besser, auch die Kindheit war rückblickend etwas viel besseres als das stressige, verantwortungsvolle Erwachsen sein. Heute muss man sich auf einmal mit den Fragen „habe ich noch was zu essen im Kühlschrank?“ oder „wie komme ich eigentlich nach Hause?“rumschlagen, heute stehe ich mitten im Leben und muss mir über so viel mehr Gedanken machen als noch vor 10 Jahren. Wenn man sich das einmal klar macht, wird auch offensichtlich, dass es in der Schwarzen Szene auf einmal anders wird – man wird erwachsen, das ganze Tun und Denken wird von der nun existenten Adoleszenz beeinflusst (oder doch beeinträchtigt?). Natürlich, früher war alles besser, weil die Antworten auf die Fragen der Zukunft noch offen waren, und irgendwo ganz weit weg in einer Schublade lagen, die man erst Jahre später öffnen musste. Wir sind eben Menschen, die an der Vergangenheit hängen, aber dennoch das Außergewöhnliche lieben. Wir brauchen neue Lieder um sie an neue Erinnerungen knüpfen zu können, das ewig wehmütige an das Vergangene Denken macht uns krank, wir brauchen neues und vor allem gutes Futter. Wenn jemand sagt, dass früher alles besser war, dann soll er sich gefälligst auch für das Gute im Neuen öffnen, sich auf das Unbekannte einlassen – eben so, wie er es damals gemacht hat, als er bei den ersten Szeneveranstaltungen ohne fundierte Musikkenntnisse die Nacht zum Tag gemacht hat. Denn wenn uns niemand das Neue bietet, ist es kein Wunder, dass wir der Vergangenheit hinterhertrauern.

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About Friedi von Murr

Friedi von Murr berichtet jeden 2. Sonntag Abend in ihrer Kolumne über das alltägliche Dasein des Gruftitums. Ansonsten studiert sie im Master Deutsche Literatur an der Philipps-Universität in Marburg.

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