Gothics sind keine Satanisten! – Oder vielleicht doch? Teil 1: Gothic – kleine Begriffsgeschichte

Manuela Ruda - sie und ihr Ehemann Daniel kleideten sich im Gothic-Stil und bezeichneten sich als Satanisten.
Manuela Ruda – sie und ihr Ehemann Daniel kleideten sich im Gothic-Stil und bezeichneten sich als Satanisten.

Der Begriff „Satanismus“ ist äußerst negativ belastet. Unter einem „Satanisten“ stellen sich die meisten Menschen, auch sehr viele Angehörige der „Schwarzen Szene“, oft einen psychopatischen Ritualmörder mit Hang zu Rechtsradikalismus vor. Mit der Realität hat dies allerdings recht wenig zu tun. Abgesehen davon, dass die „riesigen, mafiaartig organisierten Satanssekten mit Netzwerkstruktur, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen“ größtenteils nur in den Köpfen der christlichen „Sektenexperten“ existieren, wäre es genau genommen falsch, diese als „Satanisten“ zu betiteln, denn wenn man sich einmal mit der Geschichte dieses Begriffs und seiner Inhalte befasst, kommt man zu völlig anderen und teilweise auch recht überraschenden Ergebnissen. Unter anderem zu dem, dass Gothic und Satanismus den gleichen Ursprung haben und sich in ihrer literarischen Urform nicht nur nahestehen, sondern sich teilweise gänzlich überschneiden. In diesem Essay sollen die Geschichte der Begriffe „Gothic“ und „Satanismus“ aufgeführt und die Zusammenhänge verdeutlicht werden. Nun ließe sich allein über einen einzelnen Autoren eine ganze Doktorarbeit schreiben. Um hier nicht den Rahmen zu sprengen, kann also nur ein sehr kleiner, überschaubarer Überblick geliefert werden. In den nächsten Wochen werden hier bei Dark News ohnehin ausführlichere Portraits bedeutender Autoren sowie ausgewählte Werke  vorgestellt werden, womit ein zu weites Ausschweifen in diesem Essay ohnehin unnötig wäre.

Das Wort „gothic“ ist ein Adjektiv, das übersetzt nicht nur „gotisch“ im ethnologischen Sinne, sondern auch

Notre Dame - Ein berühmtes gotisches Bauwerk (Quelle:http://cdn-3.historyforkids.org/learn/medieval/architecture/pictures/notredamefacade.jpg)
Notre Dame – Ein berühmtes gotisches Bauwerk (Quelle:http://cdn-3.historyforkids.org/learn/medieval/architecture/pictures/notredamefacade.jpg )

„schauerlich, schrecklich“ bedeutet. Diese Gleichsetzung erfolgte erstmals durch den italienischen Schriftsteller, Maler und Architekten Giorgio Vasari. Er bezeichnete damit einen Baustil, der sich im 12. Jahrhundert  in Frankreich entwickelte und den schlichten romanischen Baustil ablöste. Der neue Baustil brachte gewaltige Bauwerke mit kunstvollen Ornamenten, den typischen Spitzbögen und fantasievollen Figuren und Malereien hervor. Vasari war Anhänger des „Rinascimento“ (= Renaissance) und verurteilte diesen neuen Baustil. Er bezeichnete ihn als „Stilo de Goti“ in Anlehnung an die Goten, die nach Roms Niederlage in Rom einfielen und als Zerstörer, Plünderer und schreckliche Barbaren in die Geschichte eingingen. Die Absicht Vasaris, die dieser Bezeichnung zugrunde liegt, ist also offensichtlich. Im Laufe der Jahre verlor das Wort „Gotik“ im deutschen Sprachgebrauch allerdings seine negative Konnotation und man sprach nunmehr von der „gotischen Architektur“.

In der englischen Sprache hat das Wort „gothic“ jedoch nach wie vor die Bedeutung „schauerlich“ und verlieh somit einer literarischen Strömung, die im 18. Jahrhundert ihren Anfang nahm, ihre Bezeichnung: der „Gothic Novel“.

„Gothic Fiction“ oder „Gothic Novels“ sind natürlich sehr heterogen, aber eins haben sie alle gemeinsam: Sie spielen mit der Emotion „Angst“. In der Gothic-Literatur wird zwischen „horror“ (als angenehm empfundene Angst, die aus dem Inneren des Menschen kommt) und „terror“ (als unangenehm empfundene Angst, die durch die Umwelt verursacht wird) unterschieden. Der „horror“ wird manchmal auch als „delightful horror“ bezeichnet, also eine Art „romantisches Gruseln“, das ja auch die Gothic-Szene ursprünglich mal widerspiegeln sollte (heute ist diese Kultur ja auch aufgrund verschiedenster Einflüsse ebenfalls sehr heterogen geworden). Dieses „romantische Gruseln“ entsteht durch düstere Ästhetik, wie zum Beispiel die schaurigen Impressionen, die man bekommen kann, wenn man nachts in die Natur hinaus geht und die Welt im Mondschein betrachtet. Alles ist dunkel, schattig und leicht bedrohlich. Dem eine Ästhetik abgewinnen zu können, war ein zentraler Punkt der „Gothic Novels“.

Castle of Otranto
Quelle: http://1.bp.blogspot.com/-vjKwzB4azSA/UI7OFuo61mI/AAAAAAAABlE/9cfwcBYruUw/s1600/the-castle-of-otranto-a-gothic-story.jpg

1764 veröffentlichte Horace Walpole (welcher übrigens das Landhaus „Strawberry Hill“ im neugotischen Stil errichten ließ) seinen Schauerroman „Das Schloss von Otranto“, der als erste „Gothic Novel“ gilt bzw. von Walpole auch selbst so bezeichnet wurde. Dieses Werk bricht mit den naturalistischen und rationalistischen Werten der Aufklärung, denn in seinem Werk ist das Übernatürliche real und allgegenwärtig (Spukschloss). Für die Protagonistin geht jedoch wesentlich mehr Gefahr vom menschlichen, tyrannischen und gewaltbereiten Schlossherren aus, als von diesen Geistern. Die Geister sind eigentlich sogar eher auf ihrer Seite und scheinen ihr in einigen Situationen zu helfen. Das Übernatürliche ist jedoch nichts, wovon der Autor selbst tatsächlich überzeugt ist, sondern eine Projektion menschlicher Ängste und Emotionen und diese Projektionen ziehen sich wie ein roter Faden durch zahlreiche fantastische Werke des Gothic-Genres. So ist zum Beispiel der Vampir in Bram Stokers „Dracula“ (1897) ein Symbol für unerfüllte sexuelle Fantasien der weiblichen Leserschaft, aber auch weibliche Vampire oder andere dämonenartig dargestellte Frauen, wie zum Beispiel „Biondetta“ in Jacques Cazottes „Teufel Amor“ (1821) oder „Matilda“ aus Matthew Gregory Lewis‘ „Der Mönch“ stellen Projektionen männlicher sexueller Fantasien dar.

Wir sehen also, dass hier auf der einen Seite die Literatur als eine Art psychologisches Ventil auf verschiedenen Ebenen fungiert und auf der anderen Seite eine neue Ära einleitet, nämlich die der Schauerromantik bzw. „Schwarzen Romantik“, jene Strömung der romantischen Epoche, die das Düstere und das Erhabene proklamiert. Edgar Allan Poe griff in seinen oft kriminalistisch geprägten Werken schwarzromantische Motive wieder auf und auch in moderneren Autoren wie H. P. Lovecraft und Stephen King lebt die „Gothic Novel“ weiter.

The Cure - Ein Urgestein des Gothic Rock (Quelle http://userserve-ak.last.fm/serve/_/15263141/The%2BCure%2B%2B85.jpg )
The Cure – Ein Urgestein des Gothic Rock (Quelle http://userserve-ak.last.fm/serve/_/15263141/The%2BCure%2B%2B85.jpg )

Die in den 80er Jahren entstehende Gothic-Subkultur beruft sich eindeutig auf diese literarischen Wurzeln (sowie später entstandene aber dem Genre treu gebliebene cineastische Werke). Das angenehme Empfinden des Schaurigen, Düsteren und Morbiden vermischte sich mit der Dekadenz der Punkszene und es entstand zunächst ein musikalisches Genre, das sich „Gothic Rock“ nannte („gothic“ bedeutet auch hier „schaurig“ in Bezug auf den düsteren Klang der Musik) und seine Wurzeln, ebenso wie der Punk, in England hatte. Der Gothic Rock wird eher als Bezugspunkt für die sich entwickelnde Gothic-Szene erachtet, als die Literatur, aber dennoch sind die Parallelen unverkennbar.

Aber was hat Gothic nun mit Satanismus zu tun? Ist es nicht so, dass sich ein Großteil der Anhänger der „Schwarzen Szene“ (von der „Gothic“ ein Teil ist) explizit vom Satanismus distanziert? Ja, das hört man in der Tat häufig, allerdings basiert dieses Ablehnung auf einem grundlegenden Missverständnis dessen, was Satanismus eigentlich ist.

Und was es damit auf sich hat, erfahrt ihr in Teil 2: Satanismus: Entstehung und Inhalte der gefürchteten Religion.

About Mustaveri

Alter: 28 Beruf: Übersetzerin (freiberuflich) Lieblingmusik: Metal (Death, Dark, Black, Thrash, Symphonic, Gothic) Hobbys: Musik, Sport, Schreiben, Kunst, Kochen

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