Die Katatonie ist ein Zustand völliger Starre, völliger Bewegungslosigkeit und durch den Mutismus ein Zustand beharrlichen Schweigens. Wenn man einen katatonen, schizophrenen Menschen beobachtet, könnte man ihn für tot erahnen, durch Depressionen und den Auswirkungen des Alkohols in einer körperlichen Hülle gefangen, aus der es keinen Ausweg gibt. Interessant, dass sich Katatonia vor 18 Jahren entschieden genau dieses psychomotorische Syndrom als neuen Namen für die seit 1987 bestehende Band Melancholium zu verwenden, dabei ist die Band schon seit Anbeginn in einem stetigen Wandel, sei es vom Line Up her, immerhin arbeiteten die Schweden mit Szenegrößen wie Dan Swanö und Mikael Åkerfeldt zusammen, oder eben in ihrer vielschichtigen und stets sich weiter entwickelnden Musik. Mit dem achten Album „Night is the new day“ ist den Herren um Sänger Jonas Renkse und umtriebigen Hauptsongwriter Anders Nyström jedenfalls ein großer Schritt nach vorne gelungen, den man in dieser Form vielleicht gar nicht erwarten konnte.
War „The great cold distance“ schon progressiver und tiefgehender als alle Vorgänger, vollführen die Schweden nun einen Sprung, der sie noch näher an die Kollegen von Opeth bringt. Die Grundvorraussetzungen beider Bands, welche nicht zuletzt wegen Herrn Åkerfeldts Beteiligung an Katatonias „Brave Murder Day“ ein tiefe Freundschaft verbindet, sind dennoch ganz andere. Katatonia wirken auch heuer wesentlich poppiger, Jonas Renkses Gesang ist immer noch eher verschlossen, was der anheimelnden Musik Katatonias aber perfekt zu Gesicht steht und die schwebende Melancholie ist bei „Night is the new day“ nun noch vordergründiger, was man an der Reduzierung harter Gitarren und des verstärkten Auftretens fließender Synthie-Ströme erkennen kann. Nichtsdestotrotz sind es gerade Stücke wie „The longest year„, welches mit Elektronikspielereien in den Strophen zunächst leise Akzent setzt und im Refrain voll ausbricht, oder das darauf folgende „Idle blood„, welches für mich einen Höhepunkt des Schaffen der Schweden darstellt und es mit Hits wie „Ghost of the sun“ oder „Evidence“ voll aufnehmen kann, die sich wirklich in Herz und Hirn fräsen und das neue Album zu etwas ganz Besonderem machen.
Man merkt deutlich, dass Jonas Renkse sehr an seiner Stimme gearbeitet hat. Gerade das an Opeths ruhigere Phasen erinnernde und auf das wesentliche reduzierte „Idle Blood“ lebt von der stimmlichen Arbeit Renkses und schafft es dem Hörer einen Schauer nach dem anderen über den Rücken zu jagen. Ruhig und intim, so darf man die Grundstimmung des Albums erleben. Leicht psychedelisch, doch stets nüchtern wirkt „Onward into battle„, zeigt kurzzeitig, dass Katatonia auch interessante 60er Stimmung aufbauen können, ohne sich daran zu verbeißen. Katatonia bleiben Katatonia und das ist auch gut so. Eine Weiterentwicklung ist zu erkennen, gerade aus produktionstechnischer Hinsicht, denn so intensive Klangteppiche durfte man bisher noch nicht von den Schweden erleben, doch bleiben sie sich selbst treu und gehen den seit „Discouraged Ones“ eingeschlagenen Weg konsequent weiter.
Die Wut des Vorgängers ist etwas verschwunden, sperrig bleiben Stücke wie das hoffnungslose „Nephilim“ oder das mit Streichern besetzte „Inheritance“ aber dennoch und so machen es Katatonia dem Hörer nicht unbedingt leichter, doch aufgrund dieser Liebe zum Detail kann man sich kaum an „Night is the new day“ satt hören, denn es gilt vieles zu entdecken. Mit „Departer“ zum Abschluss träumen wir uns ein letztes Mal in eine Welt aus Melancholie und tiefer Traurigkeit und genießen eine Band, die mit ihrem achten Album mehr denn je zuvor Experimente wagt und doch sich stets treu bleibt. Die Musik ändert sich, entwickelt sich, wirkt auf „Night is the new day“ zahmer und zerbrechlicher, ein Stück gereifter und vor allem tiefer gehender, doch die Stimmung, die Katatonia schon seit ihrem Debut Album „Dance of december souls“ verbreiten, bleibt auch auf Album Nummer Acht in Tönen geschriebene Melancholie, welche mit dem aufs neue wundervollen Artwork von Travis Smith eine äußerst geschmackvolle Verpackung gefunden hat. Hier sind sämtliche audio-visuellen Reize im absoluten Einklang.
Fazit: „Night is the new day“ ist die perfekte Symbiose aus Katatonia wie man es gewohnt ist und einer verträumten Shoegaze-Atmosphäre. Sphärisch, verklärt, unheimlich schön. Ein weiteres Highlight in der bisher durchgehend hochwertigen Diskographie der Schweden, welches für Katatonia-Fans neue Welten öffnet. So einfühlsam und zerbrechlich waren sie noch nie!
Trackliste:
- Forsaker
- The Longest Year
- Idle Blood
- Onward Into Battle
- Liberation
- The Promise Of Deceit
- Nephilim
- New Night
- Inheritance
- Day & Then The Shade
- Ashen (Bonus auf der schwedischen Edition und der Doppel-LP)
- Departer
Anspieltipps:
Departer, Idle Blood, The longest Year
Erscheinungstermin:
02.November 2009