Kolumne: Postmortale Kunst

Seit Beginn des digitalen Zeitalters ist die Photographie für Jedermann zugänglich – Kameras sind erschwinglich und durch digitale Speichermedien werden Kosten für die Entwicklung der Bilder gespart. Das hat leider zur Folge, dass Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Google+ nur so vor grausigen „Selfies“ überschäumen, die meist auch noch sehr schlecht bearbeitet sind. Keine Frage, es gibt auch professionelle Bilder, aber die werden immer seltener. Wie war das eigentlich vor 120 Jahren? Eine Frage für die dieswöchige Kolumne.

Noch bis wenigen Jahren war die Photographie nur Profis vorenthalten – wollte man schöne Familienfotos haben, galt es einen Photographen zu engagieren, oder die viel zu teure Kleinbildkamera herauszuholen, und zu hoffen, dass die Bilder dann auch was werden. Zu Anfangszeiten der Daguerrotypie (einem frühes Photoverfahren des 19. Jahrhunderts) waren Photos so teuer, dass der „normalsterbliche“ sich im Leben vielleicht ein Familienfoto von seinem hart erkämpften Geld leisten konnte.

td51523_hipernovaspostmortemphotos2528282529Jetzt wird es vielleicht etwas morbide – zu jener Zeit wurden nämlich Postmortem-Photos gemacht, Bilder von gerade verstorbenen Angehörigen, um sich ihrer für immer zu erinnern. Darunter nicht nur alte Menschen, sondern auch viele Kinder, die umringt von ihren Liebsten in einem Sarg noch einmal schön zurecht gemacht worden sind, aussahen als wenn sie ruhig schlafen würden, und dann beerdigt wurden. Familien, die nicht wollten, dass ihre verstorbenen Angehörigen wie tot aussahen, setzten oder stellten diese zudem an ein Gestell, dass die Toten entsprechend fixierte, und sie wie lebendig aussehen ließ. Häufig ließ sich auf den Bilder so nicht einmal festmachen, wer denn nun der Verstorbene und wer der Verbliebene ist – der Photograph konnte nämlich mittels Montagetechnik die Augen entsprechend schwärzen, um so pupillenartige Punkte über die geschlossenen Lider zu legen.

Erstmals bin ich über dieses Phänomen im Film „The Others“ aus dem Jahr 2001 aufmerksam geworden. Zum einen fand ich das tierisch gruselig, andererseits hielt und halte ich die Postmortem-Photographie aber auch (sowohl im viktorianischen als auch im heutigen Zeitalter) für eine schöne Erinnerung an einen geliebten Menschen die keineswegs entwürdigend ist – auch wenn dies leicht skurril wirken mag. Ob das Kunst oder einfach reines Handwerk ist, sei hier sicherlich außer Frage gestellt, dennoch ist es verstörend und gleichzeitig eine faszinierende Art sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Wer außerdem jetzt glaubt, dass dieses Phänomen der Vergangenheit angehört, irrt: auch heute lassen einige Familien ihre verstorbenen Angehörigen auf ihrem Totenbett ablichten, dafür gibt es sogar speziell fortgebildete Photographen.

Diese Art von Photos zeigen meiner Meinung nach die Schwelle zwischen unserer Welt und dem Totenreich und symbolisieren die Endlichkeit des Lebens, die uns früher oder später einholen wird. Im Internet gibt es einige interessante Seiten zu diesem Thema, wenn ihr euch einen guten Überblick holen wollte, kann ich euch diesen Thread bei Allmystery ans Herz legen.

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About Friedi von Murr

Friedi von Murr berichtet jeden 2. Sonntag Abend in ihrer Kolumne über das alltägliche Dasein des Gruftitums. Ansonsten studiert sie im Master Deutsche Literatur an der Philipps-Universität in Marburg.

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