Ausbruch in sich Selbst!
Seit dem Erstling „Metamorphine“ war Leandra abseits ihrer Solopfade äußerst umtriebig: So kehrte sie den Industrial-Rockern von Jesus On Extasy den Rücken und war am Keyboard von Diary Of Dreams zu finden, um kurze Zeit später an den Tasten von Apoptygma Berzerk und schließlich den Priestern und Santiano aufzutauchen, begleitet von gleichzeitigen Gastspielen bei den Kassierern und Frei.Wild. Kein Wunder, dass wir nunmehr fünf Jahre auf ihren nächsten Solo-Longplayer warten mussten. War es eine Art Bildungsreise oder hatte sie bloß Inspirationen gesammelt?
„Natürlich wollte ich Erfahrung auf Bühnen sammeln, doch dann wurde es gefährlich. Spätestens nach der Zeit bei Santiano merkte ich, dass ich einbreche“, so der Bühnen-Workaholic. „Ich ergriff einvernehmlich die Flucht, weil ich erkannt habe, dass ich für diesen Job nicht ich selbst sein durfte. Wegen der Dollarzeichen in meinen Augen habe ich es zu weit getrieben.“
Nach einem anschließenden Nervenzusammenbruch und einem Burn-Out-Klinikaufenthalt gestand sie, sich zu lange den Ideen Anderer gewidmet zu haben: „Die Tour mit Apoptygma Berzerk war die freieste Tour in meinem Leben. Ich spürte, dass ich diese Musik mit Herzblut vertreten und darbieten kann, auch wenn ich sie nicht geschrieben habe. Alles, was danach geschah, habe ich praktisch mit dieser Tour verglichen. Durch sie habe ich gelernt, dass ich unbedingt ich selbst sein darf und mich nicht zu verstellen brauche“, so die Ausnahmekünstlerin. Einflüsse von Apoptygma Berzerk sind auf ihrem zweiten Werk tatsächlich unüberhörbar, was sie auch mit „Calling“, einem Duett mit Frontmann Stephan Groth besiegelte.
Dennoch begab sie sich in Schlager-Gefilde, um ihre Grenzen auszutesten, doch eine subversiv-rebellische Konstante wuchs währenddessen immer mehr in ihr. Ideen, die ihr Eigen sind, die sie in schlaflosen Nächten auf identitätslosen Touren in identitätslosen Hotelzimmern niederschrieb: „Isomorphine“. Durch das persönlichkeitsbedrohende Umfeld wurde sie Eins mit sich.
Wie es aus ihrem Text von „Undecided“ hervorgeht, braucht Leandra sich nicht mehr zu verstecken, denn sie möchte kein Image mehr verkörpern. Auch wenn sie immer noch dem Glamour der Verwandlung zugetan ist, haben sich die vielen Persönlichkeiten, denen sie auf ihrem ersten Album gefrönt hatte, zu einem Ganzen zusammengefügt.
Mit „Over It“ verarbeitet sie mit dem ehemaligen Jesus On Extasy-Sänger Dorian Deveraux ihre gemeinsame Zeit. Sie war geprägt von vielen Illusionen und einer Menge Image-Arbeit. „Wir sind jetzt sehr gute Freunde und haben beschlossen, diesen Titel zusammen zu singen.“
Leandra ist erwachsen. Sie lässt sich bei dem Arbeitsprozess auch mal etwas sagen, weil sie weiß, dass sie sich selbst nichts mehr beweisen muss. Doch wie immer pickt sie sich bloß das Erlesenste an Material heraus und es kann auch mal 5 Jahre bis zur Veröffentlichung dauern. Die Zeit nimmt sie sich, um die aus ihren Extremsituationen entstandenen Songs zu schreiben, denn sie wirft laut eigener Aussage immer noch mindestens 40% weg, weil sie nicht ihrem Anspruch entsprechen.
„Isomorphine“: Erwachsen, in sich geerdet – mit einer Prise Pop, aber dafür ehrlich.