Lost Classics : Marilyn Manson – Born Villain

Schockrocker haben es schwer.
Je schockierender die Show und ihr Image zur Blütezeit, je grösser die Skandale und je kontroverser sie auf Gesellschaft und Musikfans wirkten, desto eher fressen sie ihre eigenen Kinder wenn das eigene Shockpotential Jahre später die scharfen Zähne gezogen bekommen hat. Je heller die Scheinwerfer ihren Ruhm erstrahlen ließen, desto schneller schmilzt das Make-up und hinterlässt oftmals ein gar belangloses Gesicht, in dem sich der pure Ausdruck von Mittelmaß wiederspiegelt.

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Schockrock ist heute vergänglicher denn je.
Spätestens dann, wenn die Motive aus Outfits und Videos von Popsternchen in deren provokanten „coming-of-age“ Videos dreist kopiert werden, ist der Zauber verpufft und vom Mainstream assimiliert worden. Wenn dann auch noch C-Promis mit einer Fingerbewegung auf dem Smartphone ihrer grausigen Selfies über Twitter oder Instagram über die ganze (digitale) Welt posten können, ist Schockrock ein analoges Fossil seiner selbst. Alice Cooper, Rob Zombie, Slipknot oder Cradle Of Filth können davon längst ein Lied singen und heutzutage höchstens noch mit dem Flair einer Geisterbahn für Nostalgie sorgen.

Wieso also überhaupt noch ein Album von Marilyn Manson rezensieren, wenn sich heute scheinbar niemand mehr daran reibt und die Veröffentlichung schon zwei Jahre zurückliegt?
Wen interessiert ein fast vergessener Schockrocker mit Doppelkinn und kurzen Haaren, gegen den ausserhalb von Putin´s „Neu-Russland“ keine fundamentalen Religiöse nicht mehr protestieren?

Mich! Und euch sollte es auch interessieren, denn Born Villian ist das bei weitem beste, weil frischeste und coolste Studioalbum von Manson seit einer gefühlten Ewigkeit. Es klingt und wirktt einfach sexy. Es hat etwas von (Zitat) „Spätrömischer Dekadenz“ eines vielleicht in die Jahre gekommenen, immer noch reichen und coolen Rockstars, der sich hier weder neu erfindet, noch selbst den Gnadenschuss gibt.
Born Villain fühlt sich wie eine gute Folge Californication statt wie Lektüre von Schopenhauer an. Wer Mechanical Animals mochte, müsste mit diesem Album was anfangen können.

Hier also einige meiner Highlights des Albums:

Hey, Cruel World ist der Opener und hätte nicht besser gewählt sein können. Ein explosiver Song der von seinen geilen Riffs lebt: dreckig, simpel und lebendig. Manson schreit, kreischt und brüllt sich durch den Song mit dem Gestus einer zickigen Diva beim Outfitwechsel Backstage zwischen den Songs. Nix wirkt „in die Jahre gekommen“. Er lebt noch.

Murderers Are Getting Prettier Every Day ist einer des besten Tracks auf dem Album.
Schnell, energiegeladen, roh. Angepeitscht von Drums, die zum ab-reagieren zwingen, nimmt mich die Energie des Songs direkt auf ein Live-Konzert von Marilyn Manson in den 90ern mit: Groupies stürmen die Bühne und seine damals berüchtigten Bühneneskapaden nehmen ihren Lauf. Der groovende Break mitten im Song setzt den Track mit NewRock-Elementen musikalisch die Krone auf.

No Reflection swingt so erotisierend, dass man(n) nicht drumherum kommt, an ebenso hübsche Mädels in Boots und Minirock zu denken, die genau dazu auf der Tanzfläche tanzen. Wahrscheinlich auch einer der Gründe, wieso ich mir wünsche, dieses Album hätte mehr Verwendung in den Setlists der DJ´s in den Clubs gefunden.

Slo-Mo-Tion kriege ich seit dem ersten hören nicht mehr aus dem Kopf. Ist aber auch gut so.
Das vom Bass im Intro gespielte Riff zieht sich als Hauptmotiv (auch als „Hook“ bekannt) durch das ganze Lied und wird von einem rockig-eingängigen Refrain gekrönt. Kein flottes Tempo, der Song groovt eher „laid-back“ wie ein zufriedener Rockstar Backstage beim wohlverdienten Blowjob nach der Show.
Das Video dazu könnt ihr hier sehen:

Insgesamt basiert Born Villain auf Einflüssen von Alternative-Rock statt Stakkatto-Riffs (wie noch auf Golden Age Of Grotesque), Industrial-Samples (Antichrist Superstar) oder gruseligen Synthesizern (Portrait of an American Family). Das tat Manson als damalige Frischzellenkur nicht nur ausserordentlich gut, sondern klang auch viel unterhaltsamer und rockender als noch das melancholisch-introvertierte Eat Me, Drink Me. Ohne viel Mühe hört man durchgehend Killing Joke, Bauhaus, vielleicht auch Nirvana heraus und dazu eine kleine Prise Glam-Rock a Bowie oder T-Rex. Das ganze Album ist sehr rudimentär, teilweise gewollt „low-fidelity“ produziert. Durch das komplette Fehlen von Synthesizern oder Samples hat es auch einen passendes, organisches Feeling.
Manson standen dabei nicht nur Twiggy, sondern auch Ex-NIN Drummer Chris Vrenna zur Seite, der die realistisch klingenden Drums jedoch einprogrammiert hat, statt sie selbst einzuspielen.

In Retrospektive betrachtet ist Born Villain nicht mehr und nicht weniger als ein sexy-groovendes Album eines zufriedenen Rockstars, der ebenso entspannt auf seine Karriere als Shocker zurückblicken kann. Im Gegensatz zu NIN´s letztem Album Hesitation Marks, dem man genau diese Authentizität eines (mittlerweile sogar mit einem Oscar) höherdekorierten Musikers nicht anhören konnte, strotzt dieses Album nur so vor echter Coolness.

Punkte: 10/10
Genre: Alternative Rock, Gothic
Label: Cooking Vinyl
VÖ: 2012

Tracklist:
01. Hey, Cruel World
02. No Reflection
03. Pistol Whipped
04. Overneath the Path of Misery
05. Slo-Mo-Tion
06. The Gardener
07. The Flowers of Evil
08. Children of Cain
09. Disengaged
10. Lay Down Your Goddamn Arms
11. Murderers Are getting Prettier Everyday
12. Born Villain
13. Breaking the Same Old Ground
14. You´re So Vain (Bonustrack)

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About Nihil

Hobbies: Musik, Filme, Gitarre, Whiskey, Pen&Paper Rollenspiele, Fussball Lieblingsmusik: Godflesh, Ministry, Massive Attack, Mayhem, NIN, Sisters Of Mercy Motto: "I won´t get down in history but I will get down on your sister" Bin ein hyperaktiver, ungeduldiger Kerl - ich habe manchmal eine grosse Klappe und schere mich wenig um "Political Correctness" in der Unterhaltungsindustrie. Eigentlich hasse ich Kunst und alles, das mir zu "gekünstelt"erscheint. Für mich muss Musik polarisieren, laut sein und mehr Substanz haben als Hochglanzfotos auf den Titelseiten der Magazine. Ich liebe die einfachen Dinge des Lebens. Momentan bin ich Gitarrist bei Ibyss und PaPerCuts und war zuvor auch einige Zeit als Live-Musiker bei Blutzukker und Killing Smile tätig. Mit meinen Beiträgen will ich gezielt über viel zu unbekannte Musik und zu Unrecht vergessene Alben schreiben. Den Underground zu supporten ist genau mein Ding.

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