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Ronny Weber – Das Dorf (Buchrezension)

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Ronny Weber ist ein Schriftsteller aus Zwickau, der 2002 seine ersten Texte veröffentlichte.

In seinen Texten kritisiert er Gesellschaft und Politik in einem düsteren Rahmen. Ronny Weber ist in der Schwarzen Szene aktiv und baut die „schwarze Kunst“ in seine schriftstellerischen Werke mit ein, weswegen seine Arbeit durchaus eine Rezension wert ist, die es verdient hier zu erscheinen!

In dem Roman „Das Dorf“ geht es um Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland leben. Die Männer sind im Krieg, die Frauen auf dem Land müssen allein ihre Felder bewirtschaften. Wie viel sie von ihren Erträgen für den Eigenbedarf verwenden dürfen, wird von den Behörden strikt vorgeschrieben. Verstöße gegen diese Vorschriften werden mit dem Tode bestraft. Die Regierung beschlagnahmt die landwirtschaftlichen Geräte, sodass die Frauen nur noch ihre Hände zum Bestellen der Felder haben. Gleichzeitig sollen sie ihre Produktion erheblich steigern, da die Soldaten an der Front die Nahrung dringend benötigen.

Man müsste eigentlich annehmen, dass sich in solchen Situationen die Gemeinschaft stärkt und alle zusammenhalten. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Zwischen den Dorfbewohnerinnen herrschen  ständiger Zwist und Intrigen.

Eines Tages tauchen männliche Gestalten im Dorf auf. Sie haben menschliche Züge, sind aber viel größer und kräftiger als normale Männer, haben weiße Haare und blutrote Lippen. Sie verteilen Saatgut, das unheimlich schnell gedeiht und sehr ertragreich ist, helfen bei der Arbeit und zeugen den Frauen Kinder. Jedoch fordern sie im Gegenzug völlige Unterwerfung und setzen dies auch mit roher Gewalt durch. Sie betrachten die Frauen als ihr Eigentum und als Gegenstände.

Die Frauen gebären Söhne, die sich ebenfalls durch überdurchschnittliche Körpergröße auszeichnen. Als die Söhne heranwachsen, beginnen sie sich gegen die Väter zu erheben und beschuldigen die Väter, „die Rasse verunreinigt zu haben“.  Da die Söhne keinen Respekt vor den Vätern haben und deren Autorität nicht akzeptieren, beschließen die Väter, ihre Söhne umzubringen. Eine der Frauen, Simone, bekommt diese Unterhaltung der Väter mit und beschließt daraufhin, zusammen mit ihrem Sohn aus dem Dorf zu fliehen und hinterlässt der jüngsten Frau im Dorf, der Außenseiterin Maria, einen Brief. Maria will die anderen Frauen im Dorf warnen und findet die beiden Väter tot auf der Straße liegend vor. Die Wasserkrüge, die sie bei sich tragen, sowie die fehlenden körperlichen Verletzungen weisen auf einen Giftmord hin. Als Maria durch das Dorf läuft, findet sie auch die anderen Bewohnerinnen allesamt tot vor. Die Söhne haben das Wasser im Brunnen und offensichtlich auch die Felder und somit die Nahrungsmittel vergiftet. Eine der Frauen haben sie alle vergewaltigt und dann totgeschlagen. Maria steht unter Schock und ist vollkommen verzweifelt. Sie fasst den mutigen Entschluss, das Dorf ebenfalls  zu verlassen und sich im Unbekannten durchzuschlagen. Als Maria ihre Zielstadt erreicht, trifft sie auf ein paar Soldaten, die ihr die frohe Botschaft überbringen, dass der Krieg  vorbei sei. Unter den Soldaten ist auch ein Angehöriger einer getöteten Familie aus Marias Dorf. Dieser junge Mann hatte sich in den  Jahren an der Front dadurch  getröstet, dass er sich immer einredete, dass seinem Dorf und seiner Familie schon nichts passieren würde. Maria muss ihn jetzt mit der traurigen Realität konfrontieren.

Maria selbst nutzt das Kriegsende für einen persönlichen Neuanfang außerhalb ihres Heimatdorfes.

Maria ist eine zentrale Figur in der Erzählung. Sie ist  eine junge Frau von gerade einmal 18 Jahren. Sie zeichnet sich durch ihren Stolz und ihren Eigensinn aus. Dies wird z.B. in ihrem Umgang mit den anderen Frauen verdeutlicht: „Maria konnte allein durch ihre Mimik all das ausdrücken, wozu andere Menschen vermutlich tausend Worte benötigten. Diese beängstigende, tückische Eigenschaft machte es nahezu unmöglich, ihr in irgendeiner Art und Weise zu widersprechen. Entgegnungen wie „Dein Blick gefällt mir nicht“ oder „Was schaust du mich so seltsam an?“ konterte Maria für gewöhnlich dadurch, dass sie die linke Ausgenbraue hochzog, den Kopf zur Seite neigte und minutenlang schweigend über die Frage nachzudenken schien, was man ihr denn nun eigentlich zum Vorwurf machen wollte. Auf Wutausbrüche reagierte Maria dann stets mit ihrem herablassend-triumphierenden Gesichtsausdruck.“
Aber auch im Widerstand, den sie gegen die Männer leistet: „Lediglich Maria weigerte sich beharrlich, den fälligen Tribut zu entrichten. Sie verwies auf den Umstand, dass man sie vorher nicht gefragt hätte und trat dem verdutzten Chamin mit einem gehörigen Maß Dreistigkeit kräftig vor das Schienbein. Da die Fremden nur zu zweit waren, beschlossen sie, Marias Weigerung zunächst einmal zu akzeptieren. Vor allem Chamin spürte sogar eine Gewisse Bewunderung für das ungestüme und rebellische Verhalten. […] Während die Männer also von Tür zu Tür gingen und jederzeit gern eingelassen wurden, saß Maria allein auf ihrem Bett und dachte intensiv darüber nach, wann wohl der richtige Zeitpunkt wäre, den Widerstand aufzugeben. Sie kam zu dem Entschluss, den Widerstand niemals aufzugeben.“

Schriftsteller Ronny Weber

Im Zusammenhang mit Maria werden Stilelemente des literarischen Gothic-Genres verwendet: z.B. der Rabe als Symbol für Prophezeiungen aber auch für Ängste und Unheil, der hier als Stilmittel für die Darstellung von Marias Angst eingesetzt wird, z.B., als Maria die toten Väter findet: „In diesem Moment unterbrach ein lautes Krähen die Totenstille. Ein schwarzer Rabe umkreiste mehrmals das kleine Glockentürmchen der Kirche und ließ sich kurze Zeit später auf dem Rand des Brunnens nieder.“

Auch die Leere, die Angst vorm Alleinsein sowie die Angst vor vom Menschen ausgehende Gefahren sind typische Gothic-Elemente. Mit diesen Stilmitteln entfernt der Autor sich jedoch von der Schwarzromantik, in der der sogenannte „delightful horror“ einfach nur eine düstere Ästhetik ausdrücken soll. Sein Stilmittel ist hier nicht „horror“, sondern „terror“ , so wie ihn auch Joyce Carol Oates gern einsetzt. „Terror“ hat keine angenehme Seite mehr, wie der „horror“, sondern verkörpert den reinen Schrecken.
Textbeispiel: „Maria fuhr zusammen. Wurde sie jetzt schon verrückt? Was sollte das denn? Aus dem Nichts drang ein einziges Wort durch sämtliche Prioritäten des Seins in den Mittelpunkt des Denkzentrums: Herbst. Der Rabe von vorhin kreiste nun lautlos über den Dächern des Mähring-Hofes. Die Gebäude wirkten plötzlich so kalt, so schwarz, so bedrohlich, so leer. Die Stille zerfetzte den letzten Rest Hoffnung. Die Tür zur Baracke – graues, verwittertes Holz. Was sich hinter den Strohballen verbarg, konnte Maria nur erahnen. Und dennoch wusste sie es genau. Gewissheit ist ein grausames Schwert. Es zertrennt die Bande zwischen Hoffnung und Bangen. es zerstört die Fantasie und den Selbstbetrug. Die Klinge der Entscheidung rammt sich langsam ins Herz der Suchenden und beendet grausam das Spiel der Eventualitäten. Das tödliche Spiel namens „Leben“. Oh ja, die Gewissheit ist ein Diktator.“

Abgesehen von den absolut passend eingesetzten Gothic-Elementen muss dem Autor seine umfangreiche Recherchearbeit angerechnet werden. In dem Roman werden historische Fakten verarbeitet, wie z.B. die Pläne der landwirtschaftlichen Planungsbehörde. Die Briefe, die die Frauen von den Behörden erhalten, sind absolut authentisch. Man fühlt sich wahrhaftig in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückversetzt.

Die Thematisierung der zurückgelassenen Frauen verleiht dem Roman eine Sonderstellung in der zahlreichen Auswahl an Romanen über den Zweiten Weltkrieg, denn hier geht es ausnahmsweise einmal nicht um die Verfolgung der Juden, die Männer an der Front oder die Geschichte einer Flucht.

Die nackte Gewalt und Grausamkeit, die hier so wahrheitsgetreu geschildert wird, ist nichts für schwache Nerven!

(10 von 10)

Das Werk ist sowohl vom Aufbau als auch vom sprachlichen Ausdruck her vollkommen gelungen und erhält volle 10 von 10 Punkten.

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About Mustaveri

Alter: 28 Beruf: Übersetzerin (freiberuflich) Lieblingmusik: Metal (Death, Dark, Black, Thrash, Symphonic, Gothic) Hobbys: Musik, Sport, Schreiben, Kunst, Kochen

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