The Picturebooks - Artificial Tears

The Picturebooks – Artificial Tears (Review und Kritik)

The Picturebooks - Artificial Tears

„Black Metal ist Krieg“ war gestern. Heute sind die Gütersloher Jungs von „The Picturebooks“ für die auditive Schlachtplatte verantwortlich. Mal ehrlich, die Jungs sind ein Phänomen. Quasi aus dem Nichts aufgetaucht, lieferten sie mit ihrem Debüt „List of People to Kill“ (Review hier) mal ganz nebenbei eines der lässigsten und nervenaufreibendsten Alben des Jahres 2009 ab. Die Presse überschlug sich geradezu in ihren Liebesbekundungen, man attestierte der Band eine starke Affinität zu den Inselkapellen und den Status als interessanteste Newcomer aus heimischen Gefilden. Gerade mal ein knappes Jahr später steht bereits der Nachfolger in den Startlöchern – „Artificial Tears“ – Das berühmt-berüchtigte zweite Album ist immer eine heikle Angelegenheit für junge Bands. Trifft man mit dem Debüt überraschend die Kritikergunst, sind die Erwartungen entsprechend hochgeschraubt, der Druck wird größer. Können „The Picturebooks“ überhaupt mit ihrem Zweitlingswerk die Messlatte des grandiosen Vorgängers auch nur ansatzweise erreichen? Die Antwort ist simpel: Ja, sie können. Und stellenweise übertrifft „Artifical Tears“ gar das Debüt.

Keine Frage, der neueste Erguss aus dem Hause Picturebooks ist anders.

Reifer könnte man sagen, erwachsener, intensiver. Die jugendliche, zügellose Wut des Erstlings ist passé. Stattdessen setzt man auf ein spitzfindig arrangiertes, stets präsentes Bedrohungsgefühl, welches zugleich seinen Reiz aus der lasziven, wollüstigen Machart schöpft. Paradebeispiel ist der gemeine Opener „I Put A Spell On You“, der sich säuselnd in die Gehörgänge des Hörers windet, das Unheil bewusst seine Runden ziehen lässt, aber bloß hinter einer Silhouette andeutet, inklusive eines extatischen Kribbelns in der Magengrube und ordentlich Suspense. Aber damit ihr mich nicht falsch versteht, raubeinige Trommelfellattacken gibt es immer noch zu Genüge.

Und diese entpuppen sich als intensives und packendes Klangfeuerwerk, das einem ordentlich die Fresse poliert, aber auf dezente und behutsame Art und Weise – bittersüß und schmerzvoll. Klingt paradox? Ist es auch, aber ich komme nicht umhin, die Art wie sie die Hölle songwritingtechnisch präsentieren, nämlich verwegen und ultimativ sexy, als unglaublich virtuos zu bezeichnen. Das Album wirkt wesentlich pointierter und intimer als noch der gnadenlos wütende, offene Vorgänger. Wie ein bizarres Kammerspiel, welches im lodernden Inferno aufgeht. Sänger und Gitarrist Fynn flüstert, keucht, röchelt und kreischt sich die Seele aus dem Leib, begleitet von einem Instrumental-Sturm, der es wahrlich in sich hat. Ob schräg-fiepende Gitarreneffekte im offensiven „Twisted Truth/Mislead Youth“, das knackig-anzügliche Arrangement in  „I´m Drawing Hearts On Your Jeans“ oder die entrückt-destruktiven Vocals in „Running Out Of Problems“ – Die Jungs scheuen nicht vor Experimenten. Und auch wenn die ganze Scheibe wie eine Reminiszenz an die Geschichte des Rock ´n´ Roll wirkt – „The Picturebooks“ bleiben eigenständig, vermischen altbekanntes mit ihrem ganz eigenem, markanten Sound. Und das gelingt ganz wunderbar, wie „Sensitive Feelings Are All Electric“ mit seinen verhaltenen „Kraftwerk“-Anspielungen zeigt. Mein persönlicher Favorit bleibt bislang „Dance Tiger Dance“. Leise, bedächtig und minimalistisch wirkt die Nummer, aber atmosphärisch unglaublich dicht. Durch die Choreinsätze im Hintergrund hat das Stück einen leicht sakralen Einschlag. Da läuft es einem kalt den Rücken runter, Gänsehautgarantie. Bei mir läuft der Song momentan in Dauerschleife, daher auch unbedingter Anspieltipp. Songs wie „Kiss Me Goodbye“, „Finders/Keepers“ oder der Titeltrack schreiben Abwechslungsreichtum groß und können durchwegs Ohrwurmqualitäten für sich verbuchen.

Martin "Rostig" Pilot

Fazit: Aber was rede ich da? Im Grunde genommen kann man sich jeden Song antun, das Album hat absolut GAR KEINE Lückenfüller vorzuweisen. Im Dunstkreis von dreckigem Blues, kantigen Noisekonglomeraten und eingängigen Pop-Melodien zertrümmern die Jungs die banale Deutschrock-Landschaft symbolisch. Keine falsche Betroffenheit – Krokodilstränen werden nicht geweint, dafür aber Blut und Schweiß. Das zweite Album ist der Beweis – „The Picturebooks“ sind alles andere als eine Eintagsfliege, sie leben den musikalischen Exzess in orgiastischen Ausmaßen – das ist genau das, was wir brauchen und das nächste Album kommt bestimmt. Ich freu mich darauf.

Trackliste:

  1. I Put A Spell On You
  2. Twisted Truth/Mislead Youth
  3. I´m Drawing Hearts On Your Jeans
  4. Running Out Of Problems (You Can Have Some Of Mine)
  5. Sensitive Feelings All Electric
  6. Dance Tiger Dance
  7. Kiss Me Goodbye
  8. Finders/Keepers
  9. Artificial Tears
  10. Personality Grown On A Tree
  11. The Phone Won´t Ring For You Tonight

(10/10)

Anspieltipps: Dance Tiger Dance, Sensitive Feelings All Electric

Erscheinungsdatum: 02. April 2010

Webpräsenz:

www.thepicturebooks.com

myspace.com/picturebooksthe

Label: Nois-O-Lution Records

About Rostig

Alter: 23 Beruf: Student Lieblingmusik: Querbeet Hobbys: Musik, Videospiele, Filme, Schreiberei, Kunst

Check Also

Review: AC/DC „POWER UP“

Warum hört und liebt man AC/DC? Nicht um im neuen Album etwas zu erwarten, dass …