Anne Clark: Konzertbericht und Interview mit der New-Wave-Ikone

Zu Gast in Mainz – Anne Clark hat noch lange nicht „Enough“

 

Als ich am 19.4. den historischen Saalbau “Frankfurter Hof” in Mainz betrat, fühlte ich mich ein bisschen an die Kulturabende erinnert, zu denen ich meine Großmutter früher begleitet habe. Das Ambiente sah nach klassischer Musik und Kabarett aus – aber gewiss nicht nach Underground und New Wave. Und mit diesen Schlagworten wird Anne Clark immer noch vornehmlich in Verbindung gebracht. Dabei veröffentlichte die britische Ikone seit Mitte der 90er Jahre auch viel Lyrik. Wenn man die Londonerin über die Jahre betrachtet, ihre Texte, Ausstrahlung und Gesangesart wirken lässt, dann ist es wenig verwunderlich, dass sie sich der Poesie so hingibt. Viel mehr gewinnt man das Gefühl, dass sie sich auf natürlichem und logischem Weg weiter entwickelt hat. Anne Clark ist Avantgarde.

In Mainz sieht es nach ganzheitlicher Kunst aus: Auf der Bühne steht ein Flügel und ein Cello, im Hintergrund das modern anmutende Tourlogo ihrer “Enough”-DSC_6166Tour. Auf der Seite sind avantgardistische Bilder einer lokalen Künstlerin platziert. Pünktlich beginnen ihre beiden Gastmusiker Murat Parlak am Piano und Jann Michael Engel am Cello. Der Saal ist gut gefüllt, das Publikum durch die Bank bunt gemischt. Erwartungsgemäß sind viele Fans anwesend, die mit der Künstlerin aufgewachsen sind. Auffallend ist, dass auch einige Jüngere da sind. Als die zierliche Britin die Bühne bertritt, ertönt Applaus. Die Atmossphäre in dem historischen Gebäude ist besonders, es scheint alles zu passen. Zugleich hallt ihre charismatische Stimme in dem so markanten Sprechgesang durch die Menge. Die Audienz ist voll da. Nichts elektronisches, nur Stimme, Piano, Cello und eine kleine Base-Drum. Bereits der dritte Song ist “Sleeper in Metropolis”. Ich hatte Gänsehaut. Ein Gast ist aufgesprungen und hat vor Freude geschrien. Wie erwartet ist das Akkustik-Set ruhig und lebt von der Tiefgründigkeit der Botschaft. Es geht ein um Weltschmerz, die eigene Unzulänglichkeit und die Gesellschaft. Sie trägt das Gedicht „Um Mitternacht“ sogar in deutscher Sprache vor.

Hervorheben möchte ich ihre herausragenden Gastmusiker. Murat Parlak hat eine umwerfende und bewegende Stimme. Der ihm geltende Applaus stand dem der berühmten Hauptkünstlerin in nichts nach. Es harmonierte auf der Bühne und als das Trio nach etwa 70 Minuten die Bühne verließ, sah man das Feuer in den Augen des Publikums, was frenetisch um Zugabe bat. Es fehlte ja auch noch ein wichtiger Song und um diesen wurden die Fans nicht betrogen: Ganz zum Schluss wurde sogar noch ein wenig getanzt, als die New-Wave-Hymne “Our Darkness” durch den Mainzer Abend erklang. Danach war aber Schluss. Ein intensives, wunderschönes Konzert ging zu Ende.

 

„Ich bin ein Alien in meinem eigenen Land“ – Ein Interview mit Anne Clark

In einem anschießenden Interview erzählt Anne Clark von ihrer Verbindung zu Deutschland, Plänen für das nächste Jahr und ihrem bewegten Publikum.

Tinu (dark-news.de): Anne, es war ein absolut genialer Auftritt!

Anne: Vielen Dank!

Tinu: Ich war 2009 auf einem Konzert von Dir in London, welches komplett anders war als heute. Es fand in einem kleinen Underground-Club statt, die wenigen Leute standen alle und haben zu elektronischer Musik getanzt. Ehrlich gesagt, habe ich den Ablauf heute nicht erwartet.

Anne: Wir mögen das Unerwartete…

Murat: Ja genau, am besten jeden Tag was anderes.

Anne: Man muss immer „frisch“ für die Öffentlichkeit sein. Das ist wichtig.

Tinu: Definitiv! Natürlich wusste ich, dass es sein akkustisches Konzert wird. Ich habe mir vorher ein paar Videos im Internet angeschaut, dennoch war ich heute überwältigt. Gleich am Anfang kam “Sleeper in Metropolis” und ich hatte dabei so eine Gänsehaut.

Anne: Wow – das macht mich glücklich. Danke!

Tinu: Das war heute das fünfte Konzert eurer aktuellen Tour. Wie ist euer Fazit bisher?

Anne: Großartig!

Murat: Absolut unglaublich!

Jann (sehr trocken): Mir hat es gefallen.

Anne und Murat müssen lachen..

Tinu: Sehr schön! Es ist ja eure erste Tour in dieser Konstellation…

Anne: …ja.

Murat: In dieser Konstellation – Cello und Piano – ist das unsere erste Tour, ja.DSC_6161

Anne: …aber wir spielen schon seit 13 Jahren zusammen. Vorher als komplette Band mit Drums und Gitarren, Keyboards. Übrig sind jetzt nur noch Cello und Klavier. Das ist okay.

Tinu: Alle Konzerte 2015 finden in Deutschland statt. Deine beiden vorherigen Touren haben zum Großteil in Deutschland stattgefunden. Was ist deine besondere Verbindung zu Deutschland?

Anne (lacht): Ich habe gehofft, Du kannst mir das sagen! Das ist echt unglaublich. Deutschland ist ein sehr großes Land mit einer sehr großen Musikszene. Aber ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung – es überwältigt mich. Seit über 30 Jahren sehe ich hier zum Teil die gleichen Leute. Ich spreche eine andere Sprache und ich singe nicht einmal. Es ist Poesie und Musik – irgendwie gibt es eine Art mystische Verbindung hier zu den Menschen, denn ich liebe Deutschland, die Deutschen und die Kultur. Aber ich weiß wirklich nicht, warum ich hier die meisten Fans habe. Da musst Du das Publikum fragen. (lacht wieder)

Tinu: Das ist interessant. Du bist hier bekannt und selbst jüngere Personen kennen Dich hier zum Teil.

Anne: Das ist absolut bemerkenswert.  Wir haben jetzt 5 Konzerte gegebeben und im Publikum sitzen Menschen, die vielleicht 18 oder 20 Jahre sind, genauso wie Menschen, die die 60 überschritten haben. Wo kommt diese Bandbreite nur her? Es ist wundervoll und ich denke, es sind die verschiedenen Elemente. Es gibt einen literarischen Teil, sowie klassische und akkustische Musik – irgendwie ist es Magie.

Murat: Man muss auch nicht genau wissen warum – es ist einfach so und das sollte man akzeptieren, denn es ist großartig. Wir lieben es…

Anne: …ja genau und wenn es sich dann noch weiter unter den Menschen verbreitet ist das einfach nur toll.

Tinu: Ich jedenfalls war total begeistert heute und kenne ein paar Menschen, denen es mit Sicherheit gut gefallen hätte, obwohl sie mit deiner Musik und der New Wave Bewegung so gar nichts zu tun haben. Als ich in London war, kamen nur wenige Leute und die Stimmung war nicht so euphorisch. Was ist in England, deinem Heimatland, anders?

Anne: Ich bin ein Alien in meinem eigenen Land, aber das ist in Ordnung. Die meisten Gäste dort sind Deutsche, Spanier, Franzosen, Niederländer, Belgier – und sogar aus Südamerika sind welche angereist. Nur eine Hand voll Engländer waren da. Aber ich kann nicht erklären, warum das so ist.

Tinu: So ab Mitte der 90er Jahre hast du Dich mehr mit Lyrik und Poesie beschäftigt.

Anne: Naja…eigentlich war es immer schon da. Aber in den 90ern hatte ich das Rilke-Projekt.

Tinu: Hat dein Publikum sich verändert, seit du mehr und mehr Lyrik in deine Auftritte einbaust?

Anne: Am Anfang waren die Leute schon etwas skeptisch und haben komisch geguckt. Aber als Musikliebhaber möchte ich nicht immer auf Konzerte gehen und über Jahre hinweg die gleiche Show sehen. Hin und wieder braucht man Überraschungsmomente und Impulse, die man erst einmal verarbeiten muss, auch wenn man es am Anfang noch nicht so mag. Ich möchte die Dinge am Leben erhalten und ihnen etwas neues und frisches verleihen. Das bedeutet manchmal, dass man experimentell und abweichend handeln muss.

Tinu: Wie man heute gesehen, funktioniert es. Das Publikum war begeistert. Mal ein anderes Thema: Ich habe von Plänen für 2016 gehört. Kannst Du mir ein bisschen mehr darüber erzählen?

Anne: Sehr gerne. Erst einmal werde ich natürlich die Tour und das Projekt mit Jann und Murat zu Ende bringen. Danach nehme ich vielleicht etwas in Deutschland oder einem anderem Land auf. Für 2016 ist dann ein Projekt mit herrB geplant, welches wieder mehr in die elektronische Richtung gehen wird. Im Frühjahr 2016 wird es dann wieder eine Tour geben.

Tinu: Wow, darauf freuen wir uns und sind sehr gespannt. Das Publikum war heute sehr gemischt. Eigentlich kommst du aus der New-Wave-Szene, die eher schwarz angehaucht ist. In der Vergangenheit hast du auf schwarzen Festivals wie z.B. dem M’era Luna gespielt.

Anne: Ja, richtig, es gehört dazu. Meine Musik umfasst viele Gefühle und Dimensionen. Es ist ein bisschen wie Essen. Niemand isst nur Pasta oder nur Pizza. Mit Musik ist es dasselbe. Ein Teil ist ausdrucksstark, laut und emotional  – der andere Teil eher ruhig und introvertiert. Damit erreicht man verschiedene Arten von Menschen. Zu Beginn meine Karriere gehörte ich zu den Größen der New-Wave-Bewegung, was mir viel bedeutet und mich glücklich macht. Aber seitdem habe ich ein halbes Leben gelebt und ich kann mich nicht immer mit den gleichen Themen befassen. Ich versuche die Menschen emotional zu erreichen, was kein leichter Job ist, da man Menschen mit 20 gefühlsmäßig anders anspricht als Menschen mit 60.

Tinu: Während des Konzertes haben wir viele schöne Bilder auf der Bühne gesehen. Hilft die Kunst, deine Musik auch noch auf andere Arten zu verstehen? Was ist deine Intention?

Anne: Das Konzept dieser Tour ist auf eine gewisse Intimität mit dem Publikum ausgelegt. Es soll alles sehr meditativ und ruhig sein, damit man sich voll und ganz auf die Musik fokussieren kann. Schau uns an – wir sind wie Laborratten, immer in Bewegung, nie fokussiert und irgendwie zerstört. Die Idee dieser Tour war, die Menschen zusammenzubringen, damit sie der Musik zuhören, den Texten folgen können und sich die Bilder ansehen. Das Publikum soll im hier und jetzt sein, in diesem einen Abend. Ich hoffe, das geht auf.

Tinu: Würde ich schon sagen. Es passt alles super zusammen. Die Instrumentenauswahl, die Kunst. Es ist auch nicht zu viel, sondern genau richtig.

Anne: MeineIMG_0534 Intention war auch wirklich, dass es nicht zu überladen ist. Eine unserer größte Sorgen war, dass die Setlist zu lange ist.

Murat: Das war ein Irrtum…

Anne: Das war wirklich ein Irrtum. Bei der Probe haben wir uns überlegt, ein paar Songs rauszunehmen, aber das Publikum verlangt nach mehr und möchte Zugaben haben. Wow!

Murat: Es ist so großartig. Wir überlegen uns, das Set zu kürzen, aber die Menschen springen auf und wollen mehr davon. Umwerfend.

Tinu: Ich denke, die Länge ist perfekt. Es könnten sogar 1 oder 2 Songs mehr sein. Gibt es eigentlich einen Ort hier in Deutschland, den du besonders gerne magst?

Anne (lacht): Oh, da darf ich jetzt nichts falsches sagen. Das Land ist groß und ich mag viele Orte hier aus verschiedenen Gründen. Ich bin nicht wirklich ein Stadtmensch, aber ein Aufenthalt in Berlin ist irgendwie immer verrückt und aufregend. Einmal habe ich auf diese Frage mit Schwäbisch Hall geantwortet –  (allgemeines Lachen). Da ist es wunderschön, es ist sehr alt und mittelalterlich. Ich mag das.

Tinu: Gibt es einen Ort, wo du während deiner Konzerte etwas Besonderes fühlst?

Anne: Schwer zu sagen. Ich mag die Gegend hier um Mainz und Frankfurt. Die Menschen sind lustig, aber auch sehr anspruchsvoll.

Tinu: Eine letzte Frage noch: Du bist seit über 30 Jahren im Geschäft. Bist du nicht manchmal gelangweilt davon, seit exakt dieser Zeit die gleichen Hits zu spielen?

Anne: Nein, denn wie ich zu Beginn gesagt habe, versuchen wir diese Songs immer wieder zu erneuern. Es ist wie mit Kindern – die sieht man auch jeden Tag, aber man kann nicht sagen, dass es einen irgendwann langweilt. Vielleicht würde es mich langweilen, wenn die Menschen keinen Spaß mehr daran haben. Aber sie feiern immer noch, also wird mir bestimmt nicht langweilig. Ich liebe es und es ist mir jedes Mal eine Freude, mein Publikum so glücklich zu sehen und auch mit diesen tollen Menschen hier zusammenzuarbeiten.

 

 

 

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About Tinu Turner

Bin die Tinu, komme aus dem wunderschönen Frankfurt am Main und wurde 1989 geboren. Meine Hobbies sind Konzerte, Gitarre spielen, Sport, lesen und schreiben. Mit der schwarzen Szene bin ich schon recht lange verbunden, wobei ich mich in den letzten Jahren eher Richtung alternative Rockszene bewege. Meine Lieblingsbands sind Depeche Mode, System of a down, Rammstein, Die Ärzte, Die Toten Hosen und Apoptygma Berzerk. Und noch ganz viele andere ;) Aber die genannten Bands haben mich am meisten geprägt.

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