IAMX sind ein Phänomen, das sich mir nicht recht zu erschließen weiß. Nicht, dass IAMX schlecht finde – Nicht einmal ansatzweise – Eher finde ich das Publikum seltsam. Während Musiker (bin ich) und Kritiker (offensichtlich auch) Chris Corners (Sneaker Pimps) Projekt über alle Wolken heben, scheint ein geeignetes Massenpublikum für die Miniepen zu fehlen. Dabei ist doch eigentlich alles dabei, was man braucht zum genreübergreifenden Glücklichsein (gut, nehmen wir die Metaller mal aus): Große Gefühle, eingängige Songs, eine ständige Bigger-Than-Life-Attitüde, die nicht selten an The Cure erinnert, New-Wave-Anleihen, Melancholie und verdammt geiler Synthiepop. Nicht zu vergessen Chris‘ teilweise fies-ironische Lyrics. Warum, verdammt, will das niemand hören, wenn schon die Zutaten nach einem Pop-Epos der Extraklasse klingen?
Während vergleichbare, zwar gute, aber auf gar keinen Fall so herausragende Combos wie Mesh sich die Headlinerpositionen großer Festivals sichern, versauert der Wahlberliner irgendwo im Mittelfeld der Festival-Hackordnungen. Man möchte das Märchen vom innovationslosen Pop am liebsten allen Kritikern in die Fresse hauen und sagen: Hier, hier ist das nächste große Ding! Signt es! Promotet es! Schafft es in die Stadions! Denn nichts weiteres ist IAMX und das „Kingdom of Welcome Addiction“ im Allgemeinen: Eine gerne in Kauf genommene Sucht nach geiler, wirklich geiler Musik, die anrührt.
Man möchte sich fast den nächsten Strick suchen und sich stellvertretend für die Massen aufhängen, die geile, geile Songs wie „Kingdom of Welcome Addiction“ oder „My Secret Friend“, das mit Imogen Heap eingesungen wurde, nicht zu schätzen wissen. Ich frage mich, wie ich ohne diese Songs bisher überleben konnte (Vielleicht kennt wer „This Will Make You Love Again“ vom Vorgängeralbum „The Alternative“, der bisher genialste Song des neuen Jahrtausends). Und ich glaube, ich will auch nicht mehr ohne diese Songs leben. Chris Corner nimmt den Hörer, der bereit ist, nicht nur nebenbei, sondern wirklich zuzuhören an die Hand und führt ihn durch schillernde Gefühlswelten und zeigt mit großen Gesten die Welt und dem Tanzbein, wo der Hammer hängt. Song-by-Song-Analysen kann man hier vergessen: Was zählt, ist, dass es da ist. Und vor allem, dass es gerade für mich da ist. Nicht mehr oder weniger als die Liebe, oder?
Fazit: Es gibt einen Spruch, der besagt, dass Musik die erste und die letzte Liebe eines Lebens ist. Und nirgendwo kann man diesen Spruch besser nachvollziehen als in den Klangwelten eines visionären Genies wie Chris Corner versunken. Warum ich keine Kritikpunkte an dem Album habe? Ganz einfach. Es gibt keine. Es ist abwechslungsreich, anrührend, experimentell, eingängig und teilweise sehr böse, auch wenn man die Fiesheiten aus der schillernden Fassade erst heraushören muss, so zum Beispiel aus dem im Walzerrhytmus voranschreitenden „The Stupid, The Proud“, das sich mit Religiösem Fanatismus auseinandersetzt oder der Abrechnung mit London, der alten Heimat Corners, „Think of England“ (Der Spruch „Lie Down and Think of England“ ist im Deutschen in etwa „Zieh dich aus, wir müssen reden“. Ein kleiner Scherz für Anglistiker und wunderbar sarkastisch). Doch was verliere ich Worte, die dem Werk nicht gerecht werden?
Tracklist:
- Nature of Inviting
- Kingdom of Welcome Addiction
- Tear Garden
- My Secret Friend (feat. Imogen Heap)
- An I for an I
- I am Terrified
- Think of England
- The Stupid, The Proud
- The Great Shipwreck of Life
- Running
Anspieltipps:
– The Great Shipwreck of Life
– Think of England
– Kingdom of Welcome Addiction
– My Secret Friend
– The Stupid, the Proud
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http://www.myspace.com/iamx