Es war einmal ein kleines Dorf in der Tschechei über das sich die abergläubischen Bewohner der Region das Maul zerrissen. Angeblich hatten die Menschen im Ort den Teufel im Leib. Deportation im zweiten Weltkrieg, (Selbst)morde – das verfluchte Marienbad hat der Legende nach alles gesehen was sich der menschliche Geist nicht ausmalen möchte. Zumindest bevor man sich entschied das Tal zu fluten und den einst so grauenerregenden Ort mitsamt zwölf seiner dämonischen Bewohner, unter Wassermassen begraben, in einen künstlichen Stausee zu verwandeln. Was klingt wie eine Schauermär aus einem Geisterfilmchen ist das Konzeptgerüst zu „Werk I: Nachtfall“ der ersten Scheibe um das Nebenprojekt der beiden Eisregen-Musiker Blutkehle Roth und Yantit. Kommt also mit mir auf eine musikalische Reise ins düstere Marienbad.
Die Geschichte zur Scheibe (Nachzulesen im offiziellen Eisregen-Forum) verspricht viel und stellt ein weiteres Mal die unglaublichen Fähigkeiten des Herrn Roth als Meister subtilem Horrors dar. Besonders da die Fangemeinde seit der beliebten „Farbenfinsternis“ seiner Hauptband nach einem neuen Konzeptalbum lechzt. Aber was Eisregen musikalisch nicht umsetzen (können) haben die Jungs ja schon immer in diversen Nebenprojekten verarbeitet. Zuletzt hatten genau diese beiden Mannen mit Panzerkreutz eine War-Black Metal Kapelle im Endstille Stil gegründet um ganze zwei Stücke für ein Split-Album einzuprügeln.
Von der musikalischen Seite her ist auch Marienbad zwar sehr mit Eisregen verwandt, versucht aber einen deutlich melodischeren Weg zu gehen. Zu Roth und Yantit von der Schlechtwetterfront gesellen sich mit Allen B. Konstanz (Ewigheim, The Vision Bleak, Panzerkreutz) und West (ebenfalls Panzerkreutz und Hämatom) zwei schon bekannte Gesichter aus dem Umfeld der Jungs.
Was vom Meister selbst so treffend als „Epic Dark Metal“ tituliert wurde stellt sich recht schnell als eine etwas melodischere und etwas langsame Version des Tod aus Thüringen dar. Roth´s Gesang und Texte stehen auch hier merklich im Vordergrund. Wobei er seine krächzende „Blutkehle“ nur extrem selten hervorholt und ansonsten Klargesang, der stark an die letzten vier Scheiben seiner Hauptband erinnert, das Album dominiert. Instrumental scheint man einen orchestralen Weg beschreiten zu wollen, der sich überwiegend auf Keyboard-Sound stützt und Gitarren oft nur ausschmückend verwendet. Das ganze glücklicherweise ohne den übertriebenen Bombast anderer Dark-Metal Kapellen wie z.B. Dimmu Borgir. Negativ fällt nur eins auf: Viele Texte (wie z.B. „Endbahnhof“) wirken wirklich wie eine Geschichte bzw. ein Tatsachenbericht. Kaum etwas reimt sich, wie von Roth gewohnt, und selbst er scheint Schwierigkeiten zu haben die schwer verdaulichen Texte in ein melodisches Klanggewand zu verpacken. Hört man bei Eisregen heraus, dass zunächst die Texte entstehen und dann die Musik dazu geschrieben wird, hat man hier das Gefühl dass beides unabhängig von Einander entstanden ist. Das ganze könnte allerdings auch mit den beiden unterschiedlichen Versionen der Scheibe zusammenhängen – ungewöhnlicher-weise erscheint das Doppel-Album nämlich sowohl auf deutsch als auch in englischer Sprache. Letztere Fassung leidet ein wenig darunter, dass Eisregen und die anderen Projekte von M.Roth besonders von seiner unglaublichen Wortgewalt und dem zynischem Unterton leben. Hier wirken die Titel aufgesetzt, der Gesang wie ein deutscher nun einmal klingt wenn er nicht gewohnt ist englische Texte einzusingen. Ein guter Vergleich wäre das bis Dato einzige Stück Eisregens auf englisch – das Death-Cover auf der schon erwähnten Farbenfinsternis. Auch hier hatte ich damals das Gefühl das Roth´s Stimme auf englisch bei weitem nicht so gut funktioniert.
Aufgrund der etwas unzugänglichen Texte, geht Marienbad trotz der eigentlich extrem melodischen Songstruktur, die auch mit wiederkehrenden Refrains nicht geizt, bei weitem nicht so schnell ins Ohr wie man es von den Thüringern gewohnt ist. „Werk I: Nachtfall“ wirkt daher wie ein melodisches Gegenstück zum aktuellen Eisregen Album Schlangensonne. Hatte man dort die cleanen Parts vernachlässigt, stützt man sich hier vollkommen auf sie – und das ohne dabei eingängiger zu wirken.
Fazit: Ich will keine falschen Erwartungen schüren – wäre das hier die neue Eisregen Platte wäre ich ein wenig enttäuscht. Ich kann mich nicht erinnern dass es mir als riesigem „Fanboy“ je so schwer gefallen wäre Zugang zu einem ihrer Werke zu finden. Aber nach mehreren Durchläufen entwickeln sich die Songs und so machen besonders „Komm nach Marienbad“, „Roslins Fluch“ und „Sieben im Teich“ sehr viel Spaß. Überwiegend liegen die Probleme einfach an den Texten, die zwar weniger bluttriefend als bei Eisregen sind, aber zum großen Teil keinen Songcharakter besitzen. Sehe ich Marienbad jedoch als eigenständige Band, sind sie wesentlich mehr als ein Zeitvertreib bis zum Erscheinen von „Rostrot.“ Roth´s Stimme steht wieder einmal über allem und beweist eindrucksvoll wie gut auch sein Klargesang sich mit der Zeit entwickelt hat. Und das Konzept? Ich habe lange keine so spannenden Texte mehr zu hören bekommen. Obwohl sie vereinzelte Schicksalsschläge/ Begebenheiten in Marienbad dokumentieren fügen sie sich doch zu einem in sich geschlossenen Ganzen zusammen, wobei es dann lediglich (wie erwähnt) an der musikalischen Eignung hapert. Nichtsdestotrotz ist „Werk I: Nachtfall“ ein bemerkenswertes Album geworden, dass einen mutigen Spagat irgendwo zwischen doomigen Dark und Goth Metal wagt den man als Anhänger der übrigen Projekte gehört haben sollte.
Titelliste von „Werk I: Nachtfall“
German Version:
- Komm nach Marienbad
- Roslins Fluch
- Sieben im Teich
- Flammnacht
- Endbahnhof
- Die gelbe Villa der Selbstmörder
- Wasserwall
- Unter Dammkrone
English Version:
- Come to Marienbad
- Roslins Curse
- 7 in the Lake
- Night of Flames
- Last Terminal
- The yellow Mansion of Suicide
- Wall of Water
- Under Dam Crest
Anspieltips:
> Komm nach Marienbad
> Roslins Fluch
> Sieben im Teich
> Unter Dammkrone
Erscheinungstermin:
27.05.2011
Marienbad – Werk I: Nachtfall im Forum diskutieren