Bereits mit seinem literarischen Debüt „Ich hab die Unschuld kotzen sehn“ und dem direkten Nachfolger „Und wir scheitern immer schöner“ hat Dirk Bernemann auf äußerst hellsichtige und bitterböse Art und Weise die Schattenseiten des deutschen, kleinbürgerlichen Alltags portraitiert und demaskiert. Mit „Satt. Sauber. Sicher.“ meldet er sich konsequenterweise in gewohnt radikaler Manier zurück und wirft mit seinen alptraumhaften Alltagsimpressionen Bomben in unser verkrustetes Bewusstsein.
Satt, sauber und sicher zu sein ist das Maß aller Dinge in unserer Gesellschaft, eine Fassade die es krampfhaft aufrecht zu erhalten gilt – obwohl wir uns doch vor Hunger krümmen nach einer Überdosis Leben, obwohl doch zentimeterdicke Schmutzschichten an unserer Kapitalistenseele haften und obwohl wir doch keineswegs sicher sind, wenn unser Lügenkomplex schließlich zerfällt und unsere bescheidenen Existenzen zerdrückt. Dirk Bernemanns Werk setzt sich mit dem dekadenten Siechtum unserer Gesellschaft auseinander und unserem degenerierten Sein.
Man steht als Leser vor Familientrümmern – vor Beziehungen, die ihrerseits auf Dreck und Schmutz und scharfkantigen Scherben menschlichen Seins nisten und vor Mauern, Isolation und Distanz, die manch einer wahrt, um sich nicht selbst zu verlieren. Erzählt werden die histoires d’horreur in geschlossener Episodenform, in der schließlich die Schicksale der einzelnen Protagonisten mosaikförmig zusammengeführt werden.
Auch dieses Stück Literatur ist Brachial-Poesie in Reinkultur. Es ist hart. Und erbittlich – Es ist Wort und Schrift gewordener Realitätsinput – eine Essenz zerbröckelter sozialer Strukturen und Systeme. Bernemann kotzt hier die schleimigen Restbestände der Realität aus – asozial, dreckig und unverblümt. Aber in all der Wut und der Unattraktivität seiner Worte haben sie sich einen strengen, schnörkellos-analytischen Kern bewahrt. Seine gedanklichen Ergüsse wirken äußerst fesselnd und milieudicht, allerdings zieht sich der Lesefluss phasenweise durch die sehr ähnlichen Bilder und langatmiges Auf-der-Stelle-treten, zumal einige Wortspiele, die wohl der Auflockerung dienen sollten, arg gestelzt wirken und die Wucht – den literarischen Magengrubenschlag abschwächen. Dennoch fällt es schwer, sich diesem literarischen Krebsgeschwür zu entziehen. Irgendwo zwischen Identifikation mit den gegebenen Szenarien und der eigenen voyeuristischen Natur pendelt man beim Genuss dieses Machwerkes, von dessen Morbidität des Banalen eine unglaubliche Faszination ausgeht.
Fazit: „Satt. Sauber. Sicher“ ist eine konsequente Weiterentwicklung der beiden Vorgänger. Konnte ich diesen nicht besonders viel abgewinnen, schafft es das Nachfolgewerk fast durchgängig mich zu unterhalten (oder besser gesagt anti-unterhalten). Im Gegensatz zu seinen beiden Erstlingswerken, die bemüht auf den künstlerischen Anspruch getrimmt waren und die sprachlich arg konstruiert erschienen (Und Lyrik scheint nicht so seins zu sein), schafft man es hier, die Balance zu halten zwischen gelungenem Erzählstrang und dezentem Pathos. Das exemplaristisch-überzeichnete Musterbeispiel vom deutschen Alltagsgrau hat den nötigen Biss vorzuweisen und zeigt den gesellschaftlichen Verfall im Zeitraffer mit lachendem und weinendem Auge. Das Resultat ist erschreckend und urkomisch zugleich – Kein Meisterwerk zwar, aber durchaus überdurchschnittliche Hausmannskost aus dem Hause Bernemann.
Medium: Taschenbuch
Umfang: 255 Seiten
Verlag: UBooks
Erscheinungsdatum: Februar 2008
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