„Spoken Word“ – So beschreibt Wikipedia das Genre, welches durch das Hamburger Musikprojekt „Oberer Totpunkt“ verkörpert wird. Und das zurecht: Kein einziger Vers wird in ihrer Musik gesungen. Wie auch immer sie auf diese Idee gekommen sind, ob durch fehlendes Talent oder ob es eine bewusste Entscheidung war – Bettina Bormann und Michael Krüger schaffen es jedenfalls, durch die Mischung von Sprechgesang und Hörbuch mit verschiedenen dark-elektronischen Sounds einen einzigartigen Stil zu kreieren, welchem sie auch in ihrem am 04.07.2009 erschienenen Album „Erde Ruft“ treu bleiben.
Zehn Tracks plus Bonustrack umfasst das neue Album „Erde Ruft“, mit welchem OT eine Vielzahl wichtiger Themen aufgreifen, die heutzutage in der Gesellschaft leider zu einem Tabu geworden sind und nehmen kritisch dazu Stellung. Eingeleitet wird das ganze mit „Blutmond“, wo dem Hörer gleich ein Hammer um die Ohren gehauen wird: „Der Tod findet zu Lebzeiten statt“, denn „Wirklich glücklich sind wir nur, wenn wir uns unserer Selbst nicht bewusst sind.“ – Eine starke Kritik an den Menschen, doch nur so erhält man heutzutage noch einen Hauch Aufmerksamkeit. Dieser Titel ist an Platz Eins der Tracklist also bestens aufgehoben.
Weiter gehts nach „Hamburg“, dem Geburtsort von OT. Textlich bleiben sie mit ihrer Kritik an der Konsumgesellschaft zwar weiterhin sehr stark, doch aufgrund der Umsetzung handelt es sich hierbei leider eher um einen der schwächeren Tracks. Bormann versucht sich im Sprechgesang – mag zwar ein nettes Experiment sein, doch die Reime hören sich teilweise sehr herbeigebogen an, was sich schon allein im Refrain zeigt. Einerseits kann das zwar so gedeutet werden, dass durch diesen Stil die thematisierte abgestumpfte Konsumgesellschaft dargestellt werden soll, doch ich will hier auch nichts überinterpretieren oder schönreden. Optimierungspotential ist hier sicherlich gegeben.
„Schlacht“, an dritter Stelle des Albums, ist dagegen einer der stärksten Tracks. Neben dem hohen musikalischen Niveau, ist auch der Inhalt sehr überzeugend. Zunächst hört es sich zwar wie eine 0-8-15 Religionskritik an, doch handelt es sich dabei mehr um ein Beispiel, eine von vielen schlechten Zutaten einer vergifteten Suppe, quasi ein Aufhänger, um das eigentliche Thema zu verdeutlichen. Der zu Lebzeiten stattfindende Tod, der bereits in „Blutmond“ angesprochen wurde, wird wieder aufgegriffen: Gehirnwäsche findet heutzutage am laufenden Band statt. Der Medienhype machts möglich. Der soziale Tod überkommt uns.
Starke, und vor allem provokante Kritiken haben wir bis jetzt, die sich im weiteren Verlauf des Albums fortsetzen. So führt uns OTs „Letzter Gang“ näher zusammen, bevor wir in „Sepultura Asini“ Zeuge der Beerdigung (oder sollte ich doch besser sagen „Verscharrung“?) eines Selbstmörders werden.
Ganz zum Schluss hören wir „Erde Ruft“, der Track, der dem Album auch seinen Namen gibt. Gut zehn Minuten dauert er und ist perfekt platziert, da jedes Leben mit all seinen Lügen im Tod sein Ende findet.
Fazit:
Alles in Allem ist das Album sehr innovativ und gelungen. Durch grandiose Texte und einen seltenen Stil, diese überzubringen, werden menschliche Abgründe aufgezeigt und ohne Rücksicht auf Tabus provokativ kritisiert. Durch den Spoken Word Stil müssen bei der Bewertung jedoch verschiedene Teile beachtet werden. Es handelt sich nicht bloß um Musik. Klar, hat der musikalische Aspekt großen Einfluss auf den Hörer. Und klar, man kann zu einigen Tracks prima tanzen, zum Beispiel haben „Blutmond“, „Schlacht“ und besonders „Imperator“ einen guten Beat. Doch ist das Ziel hier sicherlich nicht die Tanzfläche zu füllen. Viel eher sollte man sich die fünfzig Minuten Zeit für das Album nehmen, es sich auf dem Sofa gemütlich machen, mit einem Wein oder Kaffee, die Augen schließen und einfach konzentriert lauschen. Es lohnt sich!
Tracklist:
- Blutmond
- Hamburg
- Schlacht
- Sie sind da
- Gaia
- Hexenjagd
- Imperator
- Letzter Gang
- Sepultura Asini
- Erde Ruft
Anspieltipps:
• Blutmond
• Schlacht
• Sie sind da
• Erde Ruft
Erscheinungsdatum:
04.07.2009
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