Eine Mühle, die statt Korn menschliche Knochen zermalmt, ein einsamer Leierkastenmann, der trotz fortschreitender Verwesung weiterhin Leierkasten spielt, ein Galgenvogel, der sich vom Fleisch der unglückseligen Erhängten ernährt – All diese skurrilen Zeitgenossen bilden nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtkunstwerkes des neuen Albums „Geysterstunde I – Ein poetisches Spektakel zu Mitternacht“ der Berliner Avantgarde-Ausnahmemusiker von Eden weint im Grab.
Die nunmehr vierte Veröffentlichung der Musiker um Mastermind Alexander Paul Blake ist ein Konzeptalbum, unverkennbar inspiriert von der düsteren Erzählkunst des Regisseurs Tim Burton und den Autoren Edgar Allen Poe und E.T.A. Hoffmann, der schon den Musikerkollegen von Coppelius Stoff für musikalische Ergüsse lieferte.
Entstanden ist eine CD, die einem Märchenbuch voller skurriler, düsterer Geschichten, garniert mit einer Prise feinen schwarzen Humors, gleicht. Der aktuelle Tonträger bildet dabei den Auftakt zu einem zweiteiligen Konzept, das mit dem Nachfolgealbum vollendet werden soll.
Der Titeltrack der Scheibe namens „Geysterstunde“ leitet das Album düster und bedächtig ein. Er wirkt wie das Vorwort im besagten Märchenbuch, macht Lust auf den Rest der Platte und stimmt mit der leise durchklingenden Jahrmarktsorgel auf die Reise in die dunkle Gedankenwelt des Konzeptwerkes ein.
Es folgt das „Moritat des Leierkastenmannes“, das sich ganz im Sinne der Gattung des sogenannten „Moritates“ durch eine einfache Melodie und die Schilderung entsetzlicher Ereignisse auszeichnet. Die eingängige Walzermelodie und der Refrain mit Ohrwurmcharakter machen den Song zu einem Highlight des Albums.
Mit „Armee der Wiedergänger“ schlagen Eden weint im Grab deutlich düstere Töne an. Unter einem Wiedergänger versteht die Mythologie einen Verstorbenen, der in Form einer Geistererscheinung in die Welt der Lebenden zurückkehrt, um sich für erlittenes Unrecht oder die Störung seiner Totenruhe zu rächen. Die Berliner beschwören in dem dritten Track des Albums eine ganze Armee ebenjener Geister herauf und sorgen, vor allem mit dem donnernden Refrain, bei dem Sänger Alexander von weiteren Stimmen unterstützt wird, für morbides Kopfkino.
Verhältnismäßig kurz ist das nachfolgende Stück „Die Knochenmühle“ eine groteske Interpretation des bekannten Volksliedes „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“. Statt rauschend ist der Bach in der Eden weint im Grab -Version blutig und statt Korn werden hier Knochen gemahlen. Mit einem Augenzwinkern und Walzertakt wird dem Hörer eine leichte Verschnaufpause gewährt, bevor es mit „Ein Requiem in Sepia“ düster weitergeht. Der Song zeichnet sich vor allem durch seinen starken Refrain aus, der ganz ohne die Jahrgangsorgel, die sich durch die vorherigen Lieder zog, auskommt und so gleich ungemein härter klingt.
„Feuer Inferno (Vision Swedenborgs 1759)“ beginnt mit einer beschwingten, beinahe fröhlichen Melodie, die Alexander Paul Blakes tiefen Gesang stützt. Erzählt wird hier aus der Perspektive des Schweden Emanuel von Swedenborg, der sich selbst als ein Prophet Gottes verstand und 1759 in Göteborg den Stadtbrand seiner Heimatstadt Stockholm beschrieb, um seine hellseherischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Beinahe bizarr wirkt die eingängige, heitere Melodie vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse, die in dem Song nachempfunden werden.
„Nautilus“ ist ein Song über das gleichnamige sagenumwobene Boot, in dem Alexander Paul Blake abwechselnd mit klarer und rauer Stimme singt. Die Syntheziser tun ihr Übriges dazu und machen das Stück zu einem Dark Metal Song der Extraklasse.
„Der Galgenvogel“ ist die Erste von zwei Gedichtvertonungen auf „Geysterstunde I – Ein poetisches Spektakel zu Mitternacht“. Zwar erscheint das Stück zunächst wie ein musikalischer Bruch, wirkt jedoch durch die eingebauten Hörspielsounds und die Betonung des Sprechers keineswegs langweilig.
Danach geht es wieder musikalisch weiter: „Gespenster-Revue im Theater Obszön“ wird dominiert durch die Klänge des Glockenspiels und bietet erneut eine unbeschwerte Melodie, die gemeinsam mit dem Gesang Bilder eines schwarzromantischen Tim Burton Streifens heraufbeschwört.
Das langsame „Friedhof der Sterne“, dessen Melodie von einem Klavier und dem Glockenspiel, das an funkelnde Sterne erinnert, getragen wird, ist ein schönes Mid-Tempo Stück, das in schwarzromantischer Manier zum Träumen einlädt.
Das nachfolgende „Irrfahrt durch das Leichen-Labyrinth“ ist da leichtere Kost. Das Bild der Irrfahrt vorm geistigen Auge des Hörers wird von einem flotten Refrain bestärkt, der erneut Ohrwurmqualitäten aufweist.
Mit „Taphephobie“ folgt die zweite Gedichtvertonung. Hinter dem Fachbegriff „Taphephobie“ verbirgt sich die Angst als Scheintoter lebendig begraben zu werden, die bereits Edgar Allen Poe beschäftigte und die er in der Erzählung“Lebendig begraben“ verarbeitete. Ein morbides Thema, was natürlich auf der Eden weint im Grab-Platte nicht fehlen darf. Trotzdem zieht sich der Track mit seinen knapp drei Minuten Spielzeit ziemlich hin und wirkt trotz der gruselig knarrenden Hintergrundgeräusche irgendwie fad.
„Tango Mortis“ ist wie zu erwarten ein Tango der etwas anderen Art, für den sich Eden weint im Grab Verstärkung in Form des ehemaligen Depressive Age Sängers Jan Lubitzki geholt haben. Dessen klare Stimmt bildet einen schönen Kontrast zu Blakes rauher Stimme, ansonsten ist das Lied aber, im Vergleich zum Rest des Albums, eher unspektakulär.
Das anschließende „Der Nachtalb – Eine finstere Heimsuchung“ ist da aufregender: Gurgelnder Gesang, treibendes Schlagzeug und ein starker Refrain machen das vorletzte Stück des Albums zu einem weiteren Hörgenuss.
Mit „Gang durch ein modriges Beinhaus“, einem tristen Dark Metal – Epos endet das Konzeptwerk auf eindrucksvoll düstere Weise und Eden weint im Grab schließen das imaginäre Märchenbuch – Zumindest fürs Erste.
FAZIT: „Geysterstunde I – Ein poetisches Spektakel zu Mitternacht“ ist mehr als nur ein bloßes Konzeptalbum, es ist ein kleines Kunstwerk. Eden weint im Grab zeigen sich vielseitig und wandelbar und behaupten sich in ihrer Stellung als avantgardistische Ausnahmeband.
Ganz zur Höchstpunktzahl reicht es allerdings noch nicht, denn die Gedichtvertonungen sind doch eher Geschmackssache und unterbrechen das ansonsten einwandfreie Hörvergnügen. Da bleibt mir nur noch eine definitive Kaufempfehlung für Freunde außergewöhnlicher Musik auszusprechen und mit Freude auf den zweiten Teil dieses morbiden Konzeptwerkes zu warten.
Trackliste „Geysterstunde I – Ein poetisches Spektakel zu Mitternacht“
- Geysterstunde
- Moritat des Leierkastenmannes
- Armee der Wiedergänger
- Die Knochenmühle
- Ein Requiem in Sepia
- Feuer Inferno (Vision Swedenborgs 1759)
- Nautilus
- Der Galgenvogel
- Gespenster-Revue im Theater Obszön
- Friedhof der Sterne
- Irrfahrt durchs Leichen-Labyrinth
- Taphephobie
- Tango Mortis (feat. Jan Lubitzki)
- Der Nachtalb – Eine finstere Heimsuchung
- Gang durch ein modriges Beinhaus
Anspieltipps:
Moritat des Leierkastenmannes
Ein Requiem in Sepia
Gespenster-Revue im Theater Obszön
Erscheinungstermin:
06.05.2011
Eden weint im Grab – Offizielle Homepage