Kennen Sie Coppelius? Er ist genauso wie in der Erzähltextvorlage ein Zwielichtwesen, der in E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ in der vermeintlichen Gestalt des Coppola den Protagonisten Nathanael in den Wahnsinn treibt. In der Realität ist er ebenso ein solches Wesen, denn neben denjenigen, die bei dem Namen Coppelius an eine gewisse Kammer-Core Band denken mussten, erkennen möglicherweise auch literaturinteressierte Leser den Sinn für die dieswöchige Kolumne. Es geht um Literatur in der Musik.
Betrachtet man die Musik der Schwarzen Szene, trifft man immer wieder auf Interpreten, die ihre Inspiration in der (meist etwas älteren Literatur) finden, und diese in ihren Liedern zum Ausdruck bringen. Coppelius ist sicher nur eine von vielen Bands, die dieses Merkmal in sich trägt, liest man jedoch Hoffmanns Erzähltexte, gelingt es einem mit Sicherheit Lieder wie „Schöne Augen“, „Der Advokat“ oder „Klein Zaches“ besser zu verstehen, in einer ganz anderen, schwarz-romantische Art. Anderes Beispiel, gleiche Baustelle: Samsas Traum. Was für ein merkwürdiger Name, wundert sich der literaturunerfahrene Hörer, doch wer belesen ist wird belohnt. Der Name „Samsas Traum“ bezieht sich auf die ersten Zeilen von Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“, in der sich der Protagonist Gregor Samsa eines Morgens, nach unruhigen Träumen in seinem Bett als Ungeziefer wiederfindet. Auch bei Alexander Kaschte finden sich, vor allem in älteren Musikstücken intertextuelle Bezüge zu den Texten Kafkas, so zum Beispiel in „Dies ist kein Traum“. Kafka war übrigens genauso wie Kaschte Veganer – aber das nur am Rande.
„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“
Kafka – Die Verwandlung
Wenn wir hier schon von Inspiration aus deutschen Landen sprechen, darf man aber sicherlich auch nicht Interpreten wie Goethes Erben außer Acht lassen, praktisch die Hommage an die deutsche Literatur, ist Goethe doch der Begründer der Weltliteratur. Anders als zu erwarten sind hier die Texte jedoch makaber, erinnern an einen Gottfried Benn (ich denke hier nur an „Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke“, ein Exempel für die Lyrik des Expressionismus). Die Texte schaurig schön, der Inhalt verstörend, Kunst – das erwartet den Hörer auch bei den Erben. Sicherlich ist mit drei Beispielen nicht genug getan, und es gibt auf jeden Fall noch einige Interpreten, die Literatur in ihren Werken verarbeiten bzw. rezipieren und hier genannt werden sollten – das würde den Umfang des Artikels jedoch sprängen. Auffallend ist dennoch abschließend, dass die gewählten Texte und Literaten bewusst gewählt sind, und auch szenetypisch sind, Hoffmann ist klar ein schwarzer Romantiker, Kafka schrieb ebenso bedrohlich wie auch ungewöhnlich – kafkaesk, Benns Texte als Symbolträger der Angst und Zerstörung, vielleicht auch der morbiden Romantik.
http://www.youtube.com/watch?v=fRcEIIP20Hw
Literatur ist sicherlich nicht jedermanns Sache, doch wenn man sich mit ihr beschäftigt verleiht sie unserer Musik und unseren Helden wahrlich mehr Ästhetik und vor allem Verständnis. Musik wird intermedial, sie schärft unsere Sinne für Kunst, die uns in der Schule sicherlich gelangweilt hätte. Man nehme sich einfach ein gutes Buch, hole sich die Ruhe und die Zeit die man benötigt und beginne sich auf das Gute in der Kunst zu besinnen.
Lesetipp:
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